Zitiert: Problematische digitale Spielregeln für Europa

In Zeiten globaler Internetplattformen erscheint Medienregulierung in einem nationalen Rahmen provinziell und unwirksam. Selbst die EU-Kommission betrachtete Medienpolitik lange vor allem unter Binnenmarkts- und Wettbewerbsaspekten. Ihr Steckenpferd war die Förderung der audiovisuellen Medien in Europa. Die Medienaufsicht lag weiterhin bei den Mitgliedsstaaten, in Deutschland speziell bei den Landesmedienanstalten.

Unter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist dieser dezentrale Ansatz in jüngster Zeit weitgehend außer Kraft gesetzt worden, urteilt der EU-Korrespondent Eric Bonse. In ihrer Amtszeit habe sich „sowohl der medienpolitische Diskurs als auch die Praxis grundlegend geändert“. So werde „neuerdings der Schutz der Demokratie angeführt, um Brüssel direkte Eingriffe in die Medien zu erlauben“. Im Auftrag des Instituts für Medienverantwortung hat Bonse unlängst eine Analyse der neuen Internet- und Mediengesetze der Europäischen Union vorgelegt.

Es geht darin um den Digital Service Act (DSA), den Digital Market Act (DMA) und den Media Freedom Act (EMFA). Mit diesen Gesetzen eignet sich die EU-Kommission zahlreiche neue Kompetenzen in der Netz- und Medienpolitik an. Da aber Medienpolitik Gesellschaftspolitik sei, so Bonse, werde das „gravierende Auswirkungen auf die Bürgerrechte, das Zusammenleben, die Partizipationsmöglichkeiten und letztendlich auf die Demokratie haben“. […]

Teile des Gesetzes sind weiterhin umstritten. Nach Artikel 34 des DSA sollen die Plattformen nicht nur rechtswidrige Einträge löschen, sondern auch „irreführende und täuschende Inhalte, einschließlich Desinformationen“. Dies seien allzu vage Generalklauseln und könnten zu indirekten Eingriffen in die Meinungsfreiheit führen, bemängeln einzelne Medienrechtler. Andere verteidigen das Paragrafenwerk. […] Es sei nicht einfach, den Grad an Overblocking (= der ungerechtfertigten Löschung von Inhalten) festzustellen. Gleichzeitig aber werde registriert, „dass Plattformen insgesamt immer noch viel zu wenig löschen – also auch Underblocking machen, im Bereich rechtradikaler, anti-semitischer, frauenfeindlicher oder zu Gewalt aufrufender Inhalte beispielsweise“. […]

Für Unmut sorgt vor allem die Tatsache, dass das Sekretariat des Boards bei der EU-Kommission angesiedelt ist. Das Europaparlament hatte gefordert, dieses medienpolitisch relevante Gremium unabhängig von der Kommission zu ernennen, hatte sich aber nicht durchsetzen können. Damit ist die Gefahr, dass weitere mitgliedsstaatliche Kompetenzbereiche bei der EU konzentriert werden, nicht ausgeräumt. Ob der EMFA unter dieser Prämisse tatsächlich der „Meilenstein für die Medienfreiheit und -vielfalt in Europa“ wird, als den ihn Kulturstaatsministerin Claudia Roth lobt, muss die praktische Umsetzung zeigen.

Günter Herkel, M(verdi), 02.07.2024 (online)

Kommentar verfassen

Onlinefilm.org

Zitat der Woche
Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
Out of Space
Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)