Zitiert: Legende zum Spiegel-Urteil von 1966

Nun muss man allerdings vermeiden, an einer Legende zu stricken. Das Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. August 1966 war nicht so glanzvoll, wie man meint. Es erweiterte zwar den rechtlichen Freiraum der Presse mit zukunftsweisenden Sätzen, nachdem zuvor schon der Bundesgerichtshof die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Rudolf Augstein und Co. abgelehnt hatte. Das Urteil hat gleichwohl einen Makel: Es wies die Grundrechtsklage gegen die polizeiliche Besetzung der Spiegel-Redaktion und gegen die Verhaftung ihrer leitenden Redakteure zurück. Nur vier der acht Richter stimmten der Verfassungsbeschwerde gegen den vom damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß inszenierten brachialen Angriff auf die Pressefreiheit zu; vier Richter stimmten dagegen. Bei solcher Stimmengleichheit galt und gilt eine Verfassungsbeschwerde als abgelehnt. Die schönen Worte über die Pressefreiheit in diesem Urteil waren daher erst einmal nur der Zuckerguss auf dem ablehnenden Urteil; langfristig aber wurde daraus dessen Substanz, getragen und bereichert vom Votum der vier wegen Stimmengleichheit unterlegenen Richter. Erstmals in der Geschichte des höchsten Gerichts hatten die vier Abweichler nämlich ihre Gründe im Anhang des Urteils offen dargelegt, obwohl das damalige Recht ein abweichendes Votum gar nicht kannte.

Heribert Prantl, sueddeutsche.de, 02.05.2024 (online)

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