Diesbezügliche Kritik aus der Innenwelt der Öffentlich-Rechtlichen kommt nun von Golineh Atai, die seit Anfang des Jahres das ZDF-Studio in Kairo leitet – und von 2006 bis 2008 für die ARD auch bereits als Korrespondentin in der Region tätig gewesen ist. … „Themen, die damals sehr interessant waren, spielen jetzt eine untergeordnete Rolle. Vor allem vor und nach dem Arabischen Frühling haben wir viele Filme zum Thema Menschenrechte gemacht, aber die Zeiten sind vorbei (…) Wenn ich die Berichterstattung von heute mit der von vor 12, 15 Jahren vergleiche, fällt mir auch auf, dass wir damals näher an den Menschen dran waren. Und die Korrespondenten hatten noch viel mehr Möglichkeiten, in Sendungen zu kommen. Es gab Formate, die dann Jahre später abgeschafft wurden.“ …
„Es gab zum Beispiel ‚Live-Wochen‘ im ‚ARD-Morgenmagazin‘. Nach dem Krieg zwischen der Hisbollah und Israel 2006 haben wir zum Beispiel 2007 eine ganze Woche lang live aus dem Libanon berichtet, wir waren jeden Tag live 17 Minuten aus irgendeiner Ecke des Landes zugeschaltet. Das ist heute kaum noch vorstellbar. Wir waren bei Familien zu Hause, wir waren bei der Weinherstellung dabei, die im Libanon von großer Bedeutung ist, wir haben quasi den gesamten Alltag der Menschen mitbekommen. In den vergangenen Jahren habe ich dagegen festgestellt, dass wir uns von den Menschen in dieser Region entfernt haben. Die neue Prämisse ist, dass wir eigentlich nur das senden, was gefühlt nah am Zuschauer ist.“
Damit wäre konkret ein weiterer Aspekt der Publikums-Unterforderungs-Strategie der Öffentlich-Rechtlichen benannt, die wir an dieser Stelle gelegentlich schon kritisiert haben.
René Martens, MDR Altpapier, 25.5.2022 (online)