Aber unter all den Filmen fließt eben nun mal der unterirdische Fluss der Entscheidungen, die die Branche beeinflussen und bestimmen. Entschieden wird ja kräftig in den öffentlich rechtlichen Medien auch gerade beispielsweise über den Umgang mit Kultur allgemein, vor allem mit Literatur, und natürlich wird diese Mentalität, die sich da offenbart, auch bald als Auswirkung fürs deutsche Kino sichtbar, spürbar werden. Aber noch – wie gesagt – gibt es jedes Jahr ein paar wirklich sehr gute deutsche Filme.
Vielleicht hat der deutsche Film selbst ja einen falschen Blick auf den deutschen Film. Kann das sein? Wir zersplittern in Interessengruppen, in Vetternwirtschaft, guter Film-Geschmack spielt da überwiegend gar keine Rolle mehr, sondern es geht mehr und mehr darum, ob Filme den richtigen Trigger pullen, die richtige Haltung haben, gesellschaftlich, gruppenspezifisch akzeptabel sind, und Freundschaften zu Kolleg*Innen gelten im Wahlvolk des Filmpreises mehr als kinematographische Fähigkeiten – sofern Fähigkeiten überhaupt noch erkannt werden.
Ästhetik, jaja, das war mal wichtig, ist aber seit Jahren nur noch insofern ein Mini-Kampfplatz als eben die sogenannte »Berliner Schule« – das sind die, die im Februar die Berlinale teils abräumten, und sind eben teils dieselben, deren Vertreter dieses Jahr in der Filmpreis-Vorauswahl gekippt wurden – als eben deren störrische Ästhetik zwar bei der Kritik beliebt ist, aber in der Branche gemobbt wird. Und dadurch, dass auf diese Weise die Qualitäts-Kriterien für unsere vielen großen und kleinen Preise allenthalben allmählich in völlig kindische Kriterien verkommen, dadurch verkommt irgendwann auch meine Mitgliedschaft bei der Akademie zu einem Karnickelzüchter-Vereinsausweis. […]
Finanziell, künstlerisch, ist der Nachwuchs nach der Filmschule in jeder Hinsicht gefangen im Budget-Prekariat, das wir Älteren ja auch längst kennen, ausgeliefert dem öffentlich rechtlichen Arthaus-Würgegriff oder dem Netflix-Knast, je nachdem.
Dominik Graf, artechock, 02.10.2023 (online)