Im konventionellen Theater würde man ein Stück über die Gier schreiben und inszenieren. Aber man könnte Kapitalismuskritik viel konkreter üben, von Schauspieler zu Schauspieler: Warum machst du immer noch was dazu? Warum bist du dauernd mit der Mehrwertproduktion beschäftigt? Warum wollt ihr Geschichten von der Gier hören? Die kennen wir alle schon. Die liegen auf der Straße. Jeder kann das abnicken. Aber wenn man über Kapitalismus reden will, muss man den Hauptbefehl kontern, und der heißt nicht: Sei gierig! Sondern der heißt: Sei kreativ! Das ist nackter Kapitalismus, und der wohnt hier bei uns allen, der klebt an unseren Körpern. Unser Interview ist Kapitalismus. Wir beschäftigen uns nur mit uns selbst? Nein, diese Abnicker und Gierkritiker beschäftigen sich mit sich selbst und gehorchen dem Befehl des Kapitalismus. Da mach ich nicht mit, das ist Renitenz. Als wenn Nicken ein Problem löst oder die Welt verändert. […]
Ich kann ganz konkret in meiner Welt auf der Probe, auf der Bühne oder hier in unserem Gespräch etwas verändern und gestalten. Ich kann die Arbeitsverhältnisse verändern, die sind veränderbar. Und wenn die veränderbar sind, dann müsste man doch auch die Welt verändern können. […]
Vielleicht kennen Sie das auch. Wir sind in einem Transformationsprozess, dessen Parameter wir noch gar nicht kennen. Man muss das ausprobieren, um es kennenzulernen. Wir müssen hineinhorchen, um die neuen Möglichkeiten überhaupt zu verstehen und dann zu gucken, wie wir von ihnen Gebrauch machen. Nicht alles ist brauchbar. Und schon gar nicht für alle.
Martin Wuttke, berliner-zeitung.de, 08.12.2024 (online)