„Aber stimmt die Vorstellung, Journalisten und Politiker als diskutierende Eliten zu betrachten, überhaupt? Das ist die klassische Vorstellung des Leitartiklers, der mit seinen Kommentaren der Politik kluge Ratschläge geben will. Aber das betraf eben nicht „die Journalisten“, sondern nur eine kleine Schicht Bonner Hauptstadtkorrespondenten, von Chefredakteuren und Herausgebern. Aber die Medien trafen in der alten Bundesrepublik auf eine Politik, die sich ihrer Verankerung in der Wählerschaft sicher sein konnten. So wie die Union im katholischen Milieu fest verankert war, war es die SPD in der klassischen Facharbeiterschaft. Es ging letztlich immer nur um eine vergleichsweise kleine Zahl von Wechselwählern, die den politischen Wechsel möglich machten.
Erst mit dem Wegbrechen dieser Milieus kamen Medien in eine andere Rolle. Plötzlich betrachteten sie sich als entscheidend, um eine politische Agenda durchzusetzen. Zuerst in der Debatte über den Reformstau in Deutschland in den 1990er Jahren, anschließend in der über die Agenda 2010. Sie bildeteten somit politische Konflikte nicht mehr ab, wie etwa noch in den frühen 1970er Jahren im Konflikt über die Ostpolitik. Vielmehr verstanden sie sich als sogenannte „Agendasetter“, was allmählich die Berichterstattung dominierte. Der Höhepunkt war die fast einhellige Unterstützung der Medien für einen Regierungswechsel im Wahlkampf von 2005. Umso überraschter war man allerdings anschließend über das Wahlergebnis gewesen, das fast in einem Debakel für die gegenwärtige Kanzlerin endete.
Die Krise des Journalismus begann zu diesem Zeitpunkt. Als das „Agendasettimg“ die Berichterstattung zu dominieren drohte. Er traf damals auf eine geschwächte Politik, die zusehens abhängiger von den klassischen Medien geworden war. Viele wichtige Medienakteure waren sich dieser Aufwertung ihrer Rolle durchaus bewusst. Es war aber eine kurze Epoche zwischen dem Niedergang der klassischen Volksparteien und dem Beginn der digitalen Revolution. Letztlich betraf es nur die Zeit zwischen den frühen 1990er Jahren und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.
Vorher wären nämlich noch nicht einmal Rudolf Augstein oder Axel Springer auf die Idee Kurbjuweits gekommen: „Politiker und Journalisten“ sollten „Meinungen bündeln und Kompromisse möglich machen.“ In diesem einen Satz dokumentiert sich der Irrtum, dem manche Journalisten in den vergangenen Jahren aufgesessen sind.
Frank Lübberding, Altpapier, 07.03.2016 (online)