Was die Kunst am Film niemals verstanden hat, ist der Zwang zur Wahrnehmung – also etwas, das genuin zur mediengeschichtlichen Besonderheit des Films gehört. Und das ist etwas, das in der Präsentation im Kunstbereich immer sehr schwierig zu vermitteln war, bis heute. Man hat darauf in einer Weise reagiert, die ich die Skulpturalisierung des Films genannt habe, man hat versucht, aus dem Film eine Skulptur zur machen.
Wenn man eine Ausstellung besucht, geht man vielleicht für ein paar Minuten in einen Raum und schaut sich ein Stück aus einem Film an, der möglicherweise sehr viel länger dauert, vielleicht sogar mehrere Stunden, man denke etwa an Arbeiten von Ulrike Ottinger. Oder die Arbeit wird als Loop gezeigt, hat also keinen Anfang und kein Ende mehr. Dem Film wird die gesamte Temporalität und damit seine spezifische Wahrnehmungsform genommen, um ihn gewissermaßen in die Logik des Kunstbetriebs einzufügen, die davon bestimmt ist, dass die Besucher in einem bestimmten Zeitraum durch die Ausstellung geschleust werden müssen. Das ist ein klassisches Problem großer Kunstausstellungen wie der Documenta, der Biennalen und vieler anderer. Da stört der Film tendenziell mit seiner mediengeschichtlichen Besonderheit.
Lars-Henrik Gass, junge world, 19.11.2020 (online)