Im Radio lief ein Interview mit der Grünenpolitikerin Renate Künast, die von einem Bauern-Mob sprach und die Landwirte aufforderte, an „konstruktiven Lösungen“ mitzuarbeiten. Mob? Konstruktive Lösungen? Hatten nicht auch so die Politiker des untergegangenen Landes geredet, bevor das Volk sie aus ihren Amtsstuben jagte? Ein Kommentator warf den Bauern vor, in der höchstsubventionieren Branche des Landes zu arbeiten. Tja, dachte ich. Subventionen. Haben damals auch nicht geholfen.
In der Redaktionskonferenz diskutierten wir darüber, ob die Proteste von Rechten und Radikalen „unterwandert“ seien. Der Ost-Kollege aus dem Feuilleton grinste. Unterwandert. Kam ihm bekannt vor. Ein anderer Kollege berichtete, er sei auf dem Weg ins Büro auf eine Kolonne von Brandenburger Handwerkern gestoßen, die sich mit den Bauern solidarisierten. Sie hätten nicht mit ihm gesprochen. […]
Das Land steht kopf. Und das Jahr hat gerade erst begonnen, die Woche auch. Wie wird es am Freitag aussehen? Wie groß wird die Wut noch werden? Die der Bauern, Lokführer und Handwerker, aber auch derjenigen, die nicht zur Arbeit, zur Schule oder ins Krankenhaus kommen, weil die Bahn nicht fährt oder die Straßen gesperrt sind. Wie werden die Politiker reagieren? Wann werden sie die Sorgen der Leute ernst nehmen, statt sie als rechts zu beschimpfen?
Ich habe im Internet nachgeguckt. Eine revolutionäre Situation nennt man – nach Lenin und Marx – den Auslöser einer Revolution, in der sich die offene Empörung ausgebeuteter Massen Bahn bricht. Zu den Merkmalen zählen die Unmöglichkeit für die herrschenden Klassen, ihre Herrschaft in unveränderter Form aufrechtzuerhalten, eine gesteigerte Aktivität der Massen. Und der Aufbau einer proletarischen Partei, die bereit ist, die Führung zu übernehmen.
Anja Reich, berliner-zeitung.de, 08.01.2024 (online)