Anfangs profitierten westliche Medien von seinen Enthüllungen. Jetzt fühlen sich wenige berufen, für Assange ins Feld zu ziehen. … Dabei kämen laut Nils Melzer, UN-Sonderbeobachter für Folter, im Fall Assange rechtliche und politische Mittel zum Einsatz, die bei anderen Fällen undenkbar wären. In zwanzig Jahren Arbeit habe er „nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Statten zusammengeschlossen hat, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit und unter so wenig Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu dämonisieren und zu missbrauchen“, sagt er. Melzer arbeitet mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung. Er weiß, wovon er redet. Den Medien scheint das egal. Isolationshaft, Hetzkampagnen, Menschenrechtsverletzungen. Zu lesen ist davon wenig bis nichts. …
„Ich kann nicht verstehen, warum viele Medien nicht erkennen, dass es um sie geht“, kommentierte Assanges Anwältin. Im Rücken sitzt ihnen die Angst der Kontaktschuld. Günter Wallraff nennt den Fall Assange einen „Tod auf Raten“: Eine Person, an der ein Exempel statuiert wird, siecht dahin. Und die, die es betrifft, sehen zu und hoffen, sie kommen heil davon. Auch das ist Pressefreiheit in westlichen Demokratien.
Mandy Tröger, berliner-zeitung.de, 23.5.2022 (online)