Zu denjenigen, die zu lange recht blind für die Bedrohung waren, gehören die meisten Medien. An jenem von der WHO als „Zyklus von Panik und Vergessen“ genannten Mechanismus hatten sie ihren Anteil. Oft sind Themen übermächtig, es gibt Schlagzeilen und Sondersendungen. Dann werden sie beinahe unsichtbar, obwohl Aufarbeitung, Konsequenzen und die Vorbereitung auf das nächste Mal wichtig sind. Journalisten tragen keine Verantwortung, dafür zu sorgen, dass aus Krisen keine Katastrophen werden. Aber guter Journalismus zeichnet sich durch Urteilskraft aus, aufzuzeigen, worüber es lohnt nachzudenken, was uns beunruhigen sollte und was Politik nicht ignorieren darf. Diesen Test hat die Branche vor der Pandemie nicht bestanden. … Guter Journalismus stellt auch jene Fragen, die die Politik aus taktischen Gründen, oder weil es politisch heikel erscheint, ausklammern will. Dann kann er Taktgeber und Nachdenkhilfe sein, eine Größe auf der Suche nach dem richtigen Weg.
Georg Mascolo, sueddeutsche.de, 03.12.2021 (online)