In den Demokratien Ostmitteleuropas ist ein medienpolitischer Revanchismus im Tauziehen um die Interpretations- und Deutungshoheit zur Tradition geworden. Diese Praxis stellt ein fundamentales Problem in der Region dar und belastet die politische Kultur – von beiden Seiten des politischen Spektrums. Bis aber die streitenden Parteien nicht eine einvernehmliche Kompromisslösung finden und stattdessen jeden politischen Machtwechsel als Machtergreifung verstehen, wird es nicht gelingen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Auch den neugewählten Regierungen Polens und der Slowakei scheint dies nicht zu gelingen.
Die westliche Presse sollte sich keinen Illusionen hingeben und die Gewohnheit ablegen, in Abhängigkeit von politischem Wohlgefallen, schlechte Praktiken durch gute Absichten zu rechtfertigen. Mit altbewährten Vorschlaghammermethoden zu neuen Ergebnissen gelangen zu wollen, zeugt nicht von ernsthaftem Reformwillen. Mit der kompletten Auflösung des ÖRR hat Polen einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, der nun auch in der Slowakei zur Anwendung kommen könnte. Damit wird dem Glauben der Bürger an die Institutionen der Demokratie weiterer Schaden zugefügt.
Dass gerade öffentlich-rechtliche Medien in Deutschland über die Zerschlagung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks jubeln, erscheint skurril. Wenn man als Berichterstatter mit Neutralitätsanspruch für dieselben Vergehen nur Regierungen des einen politischen Lagers kritisiert, lässt man seine gerechtfertigte Kritik nicht nur unglaubwürdig erscheinen, man unterminiert auch das Vertrauen der ostmitteleuropäischen Bürger in die Objektivität der ausländischen Medien. Bis dieses Problem erkannt wird, scheint es fürs Erste weiterhin zu heißen: Quod licet Iovi, non licet bovi.
Tristan Csaplár, Alexander Rasthofer, Budapester Zeitung, 14.04.2024 (online)