Der Literaturwissenschaftler Karl-Heinz Bohrer, einst selbst so etwas wie der Rio Reiser seines Faches, hat gerade eine Studie über diese Form der Hassrede veröffentlicht, in der er zwei Formen des Hasses scharf voneinander trennt: den politischen Hass einerseits und den literarisch-imaginativen Hass andererseits. Wenn Baudelaire, Sartre, Bernhard, Goetz ihre jeweiligen Zeitgenossen mit Hass und Verachtung überhäufen, geht es nicht um Hetze, sondern um Selbstidentifizierung und Erkenntnis, um, so Bohrer, „spirituelle Vertiefung von Subjektivität aufgrund radikaler Isolation“. Oder, anders gesagt: Um die Grundbedingung für Mündigkeit und eine gelingende Republik. Auffällig ist in dem Zusammenhang, dass es in der Regel dieselben sind, die den politischen Hass streuen und den literarischen skandalisieren.
Felix Stephan, sueddeutsche.de, 03.01.2020 (online)
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