Die wichtigste Tatsache über solche Politikerinterviews ist ja die, dass das nur so aussieht wie ein Gespräch zwischen zwei Menschen. Das ist ja kein Gespräch zwischen zwei Menschen, wie man sich das normalerweise vorstellt. Sondern da geht es um einen öffentlichen Auftritt, da geht es um ein Gespräch, das für Dritte geführt wird. Das heißt, die Politiker kommen nicht ins Studio, weil die besonders daran interessiert wären, die Fragen zu beantworten. Die kommen auch nicht ins Studio, weil sie mich kennenlernen möchten, sondern die kommen ins Studio, weil sehr, sehr viele Menschen vor dem Fernsehapparat sitzen. …. Aber sie sind nicht interessiert an den Fragen. Sie sind interessiert an der Auftrittsmöglichkeit. Jetzt umgekehrt: Wir sind jetzt auch nicht so – das klingt jetzt ein bisschen zynisch –, auch nicht so interessiert an den Antworten, weil ich kenne die Antworten im Normalfall schon. Ich habe alles, was der Gast zu diesem Thema je öffentlich gesagt hat, gelesen, wenn der ins Studio kommt. Ich weiß ziemlich genau, was der sagen wird. Ich stelle diese Fragen nicht für mich, sondern ich stelle die Fragen fürs Publikum. Das kennt ja die Antwort noch nicht. Das hieße jetzt aber für ein Gespräch eine ziemlich ungünstige Situation: Ich stelle Fragen, deren Antwort ich schon kenne, und der Gast will meine Fragen gar nicht beantworten, sondern in Wahrheit eine Wahlrede vor sehr vielen Menschen halten, und dazu läuft noch eine Uhr mit, und es gibt sehr wenig Zeit und im Normalfall ein sehr komplexes Thema.
Armin Wolf in der 46-minütigen Sendung „Lassen Sie uns den Quatsch beenden“: Die Kunst des guten Interviews», die am 10. April als „Spezial“-Ausgabe des Medienmagazins „@mediasres“ im Deutschlandfunk ausgestrahlt wurde, medienkorrespondenz.de, 27.04.2020 (online)