Zitiert: Der Geist des Marktes

Der private Rundfunk hatte es bei seinem Start in Deutschland nicht leicht: Neben ARD und ZDF war wenig Platz, erinnert sich der Publizist Norbert Schneider. Umso schriller waren am Anfang die Programme, mit denen die neuen Sender auf sich aufmerksam machten. Schneider erlebte den Start des Privatfernsehens 1984 als Direktor des Senders Freies Berlin. 1993 wurde er Direktor der Landesanstalt für Rundfunk in Nordrhein-Westfalen, die später in Landesanstalt für Medien umbenannt wurde. Schneider benennt in seinem persönlichen Rückblick auch Fehler, die der Gesetzgeber bei der Regulierung des Privatfunks gemacht habe: So sei die Politik beim Setzen der Rahmenbedingungen faktisch den Vorgaben des Marktes gefolgt. […]

Mir ist als Gesamteindruck der ersten Dekade in Erinnerung geblieben, dass Thoma und Kirch und die ihren mit der Wurst und dem Speck nach dem Zuschauer warfen. Das taten sie nicht für einen guten Ruf und ein blankes Image. Ihr Interesse richtete sich auf die jeweils höchste Quote. Der Tausenderkontakt war die Währung der Werbung. Offenbar trafen sie einen Nerv beim Publikum.

Nach dem Belächeln und dem Fürchten kam daher das Lernen. Die Quote fand mehr und mehr auch das Interesse der ARD und ZDF. Für mich war ein unerwünschter Nebeneffekt in der Wirkung des privaten Fernsehens, dass nun alle an die Quote glaubten. […]

Die Sender der Kirch-Gruppe fielen nach der Insolvenz Investoren in Hände, die an Qualitätsfragen kein sonderliches Interesse hatten. Ihnen ging es um die Wertsteigerung eines Investments. Der erste dieser Ökonomisten war Haim Saban. Er kaufte dem Insolvenzverwalter die ProSiebenSat.1-Gruppe für gut 500 Millionen Euro ab, ließ sich als Retter feiern und verkaufte die Sendergruppe ein paar Jahre später für rund 3 Milliarden Euro. Die diversen Investoren, die die ProSiebenSat.1-Gruppe, wie sie jetzt hieß, in der Folgezeit übernommen und wieder verkauft haben, hatten beim Kauf jeweils nur den Exit im Sinn. Im Programm sahen sie allenfalls die Zitrone, die man auspressen musste. […]

Mein Fazit ist bestimmt von der Behauptung, dass sich im Kommerzfernsehen, wenigstens in den ersten 20 Jahren, der Geist des Marktes und der Zeitgeist sehr nahe kamen. Ulrich Beck sah die Moderne auf dem Weg in eine Risikogesellschaft (1986). Nicht nur medienpolitisch war Deregulierung das Wort der Dekade. Sie definierte Freiheit als grenzenlos: Was geht, wird auch gemacht. Fortgesetzt wurde „entfesselt“. Der Neoliberalismus von Milton Friedman blies die Backen von Bill Clinton und George Bush, von Tony Blair und ein bisschen auch von Gerhard Schröder auf – bei ihm zusammen mit Wolfgang Clement.

Diese Grundstimmung spielte dem Kommerzfunk ebenso in die Karten, wie er wiederum diese Strömungen verstärkte: Ein klassischer Fall von win-win. Die Programme scherten sich nicht um Grenzen, sie schleiften – nicht zuletzt in ihren Talkshows – den Unterschied zwischen öffentlich und privat. Sie simulierten flache Hierarchien. Die Jugend feierte sich selbst. Jeder duzte jeden. Die Programme versorgten die Spaßgesellschaft mit Spaß ohne Ende, ohne Scheu vor dem Vulgären. Sie folgten einer Devise, die Jahre später auch der RBB offiziell als Werbespruch nutzte: „Bloß nicht langweilen!“

Norbert Schneider, epd medien, 18.07.2024 (online)

Kommentar verfassen

Onlinefilm.org

Zitat der Woche
Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
Out of Space
Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)