Gute Vorsätze sind von gestern. Heute streben die meisten nach Optimierung. Leider aber nicht nur ihrer selbst, sondern auch aller anderen Personen. […] Die zwanghafte Selbstoptimierung hilft bei der Abgrenzung: Was früher der Familienwagen vor dem Haus leistete, die klare Abgrenzung von den Nachbarn etwa, das beschreibt man jetzt mit dem Grad des „Bewusstseins“. Ein Meer von Mentaltrainern bietet in Youtube-Videos oder Podcasts Wissen to go an, das mentale Gesundheit fördern sollte, derzeit jedoch oft dazu beiträgt, Hobbypathologisierung zu stärken. Denn beinahe jeder, der einen Podcast gehört hat, meint, Ferndiagnosen stellen zu können, obwohl Ferndiagnosen in der Psychotherapie als unethisch gelten.
Vokabular aus Therapien, das komplexe Prozesse zwischen Therapeut und Patient beschreibt, wird nun zum Handwerk, um über berufliche wie private Beziehungen zu diskutieren. Wer lügt, betreibt gleich „gaslighting“; wer fremdgeht, wird nicht mehr als untreues Arschloch beschimpft, sondern als Narzisst. In der Folge gesellen sich zu den Optimierten immer mehr Tyrannen einer gefühligen Pseudoinnerlichkeit. Vermutlich kann trotzdem alles nur besser werden. Schließlich arbeiten wir musterschülerhaft daran.
Jagoda Marinic, sueddeutsche.de, 30.12.2022 (online)