Ausschnitt aus einer Rede von Dieter Dörr beim „Festival Radiozukunft“, das vom 7. bis 10. März an der Berliner Akademie der Künste stattfand:
„Schon der nur teilinformierte Bürger beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Noch gefährlicher ist der fehlinformierte Bürger. Nur der umfassend informierte Bürger bleibt also demokratiefähig.
Dies ist in einer Zeit, in der die Bürgerinnen und Bürger das Fernsehen als wichtigste Informationsquelle nutzen und das Radio nach dem Fernsehen an zweiter Stelle bei der Nachrichtennutzung folgt, nur dann gewährleistet, wenn neben den werbeabhängigen privaten Rundfunk ein über Gebühren bzw. Beiträge finanzierter, auf eine umfassende Information verpflichteter öffentlich-rechtlicher Rundfunk tritt. Diese Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die hinter der Figur von der „dienenden Rundfunkfreiheit“ steht, nimmt nicht etwa an Gewicht ab, sondern gewinnt zunehmend an Bedeutung, je mehr die Medien insgesamt – also auch die Telemedien und die Printmedien – in den Sog von Werbewirtschaft und Kapitalgebern geraten.
Daher übertrug das Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage dieses Rundfunkverständnisses in der vierten, fünften und sechsten Rundfunkentscheidung dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk neben dem „klassischen Rundfunkauftrag“ auch die Aufgabe der „Grundversorgung“.
Der Begriff der Grundversorgung erwies sich als neues „Lebenselixier“ für den öffentlichrechtlichen Rundfunk, zumal das Bundesverfassungsgericht ihn dynamisch interpretierte und im Sinne einer Vollversorgung konkretisierte.
Danach ist mit Grundversorgung gerade keine Mindestversorgung gemeint, auf die der öffentlich-rechtliche Rundfunk beschränkt oder ohne Folgen für die an privaten Rundfunk zu stellenden Anforderungen reduziert werden kann. Vielmehr ist unter Grundversorgung nach der Rechtsprechung eher das Gegenteil zu verstehen.
Sie zeichnet sich durch drei Elemente aus, nämlich durch eine Übertragungstechnik, die den Empfang der Sendungen für alle sicherstellt, zweitens einen inhaltlichen Standard der Programme im Sinne eines Angebots, das nach seinen Gegenständen und der Art ihrer Darbietung oder Behandlungen dem dargelegten Auftrag des Rundfunks nicht nur zu einem Teil, sondern voll entspricht und drittens durch die wirksame Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt in der Darstellung der bestehenden Meinungsrichtungen durch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen.
Mit dem Begriff der Grundversorgung wird also deutlich gemacht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Bürgern „gründliche“ Informationen und ein „grundlegendes“ Angebot aller Typen von Rundfunksendungen technisch für alle erreichbar anzubieten hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich aber nicht damit begnügt, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf vielfältige Information zu verpflichten. Es verlangt zusätzlich, dass es für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk darauf ankomme, zu gewährleisten, dass der klassische Auftrag des Rundfunks erfüllt wird, der nicht nur seine Rolle für die Meinungs- und politische Willensbildung, Unterhaltung und über laufende Berichterstattung hinausgehende Information, sondern auch seine kulturelle Verantwortung umfasst. Dieser kulturelle Auftrag ist zunächst eng mit dem Integrationsauftrag verknüpft.
Gerade in Zeiten einer zunehmenden Fragmentierung des Publikums und der verstärkten Differenzierung der Angebote ist es wesentlich, Rundfunkanstalten zu haben, die verlässliche Orientierungshilfen bieten können.
Besonders bemerkenswert ist, wie stark das Bundesverfassungsgericht auch beim inländischen öffentlichrechtlichen Rundfunk neben der auf die Demokratie bezogenen Informationsaufgabe den kulturellen Auftrag betont. Noch deutlicher wird dieser kulturelle Aspekt im Zusammenhang mit dem von ihm hervorgehobenen „klassischen Rundfunkauftrag“. Gerade dieser Begriff betrifft bei richtiger Interpretation nicht so sehr den Bereich, in dem der inländische öffentlich-rechtliche Rundfunk programmlich tätig werden soll. Es geht dabei vielmehr um die Art der Darstellung und um die enge Verbindung mit der kulturellen Bedeutung des Rundfunks. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat seine Berichterstattung klassisch, also an den überkommenen kulturellen Werten auszurichten, wie sie im Grundgesetz zum Ausdruck kommen und damit einen Integrationsrundfunk für alle zu gewährleisten.
Im klassischen Rundfunkauftrag kommt also ein besonderer Kulturauftrag des Rundfunks, vor allem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zum Ausdruck. Dieser steht keineswegs beziehungslos neben dem Informationsauftrag, da der moderne, zu Freiheit und Demokratie fähige Mensch nicht nur informiert und wissend sein, sondern auch die Gemeinschaftsanliegen mitgestalten und mitverantworten muss. Dazu ist die Entfaltung und ständige Erneuerung des gemeinsamen Wertmaßstabes notwendig. Der Bürger kann die Demokratie und eine freiheitliche Gesellschaft nur mitprägen, wenn er ihre Grundwerte erlebt und versteht, die die von den Prinzipien der Menschenwürde und der daraus folgenden Freiheit und Gleichheit geprägte Rechtsgemeinschaft zusammenhält. Die Vermittlung und das Verständnis dieser kulturellen Grundwerte werden in jeder Gesellschaft umso unverzichtbarer, je offener sie für andere ist.
Zudem muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk die gesamte Bandbreite einer lebendigen Kunstszene widerspiegeln. Der generelle Programmauftrag des öffentlichrechtlichen Rundfunks wird daher nicht auf die sogenannte Hochkultur beschränkt. Vielmehr versteht man den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weit, so dass der Sport ebenso seinen Platz darin hat wie Unterhaltungsprogramme.“
epd Medien, 22/2013, S. 14