„Er kann sich dabei auf bloße Zeugenschaft oder Chronistentätigkeit nicht beschränken. In inhaltlicher Hinsicht muss er gegenständliche und meinungsbezogene Vielfalt, die in gesellschaftlicher Kommunikation geborgen ist, erschließen. Er muss solche Vielfalt „investigativ“ ausfindig und zugänglich machen, und zwar in den Vermittlungsdimensionen der Information, Unterhaltung, Bildung, Beratung und „Kultur“ gleichermaßen. In allen diesen Dimensionen soll professionell-journalistische Untersuchung und Überprüfung stattfinden, Sinnfindung und Kritik, Perspektivenausweitung und Diskurszuspitzung, die Erforschung von Möglichkeitsräumen und die Befestigung von Gewissheitsbezirken.
In struktureller Hinsicht hat professioneller Journalismus die Aufgabe, gesellschaftliche Teilöffentlichkeiten aufzuspüren, zueinanderzuführen, auch neu zu eröffnen und weiter anzuregen. Professioneller Journalismus, wie das Grundgesetz ihn will, hat deshalb auch eine besondere Affinität zu zivilgesellschaftlichen Gegenöffentlichkeiten.
Er würde seine Aufgabe verfehlen, beschränkte er sich auf die Vermittlung organisierter Kommunikationsmacht ökonomischer, politischer oder exekutiver Herkunft. Zivilgesellschaftliche Gegenöffentlichkeit, von Gorleben über Stuttgart 21 bis Occupy Wall Street und darüber hinaus, entwickelt sich in der Regel dezentral und „spontan“, sie organisiert sich aus dem gesellschaftlichen „Unten“. ….
Soll Öffentlichkeit diese Leistungen erbringen, erfordert das eine Bearbeitung der verfassungsrechtlich aufgegebenen Medienfunktion durch freien professionellen Journalismus. Unter den Bedingungen einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, die längst auch den Kommunikationsraum des Internet durchdringt, ist die Erfüllung der Medienfunktion aber schwierig geworden. Erkennbar werden diese Schwierigkeiten derzeit in der politischen, vor allem aber ökonomischen Vermachtung der nationalen und globalen Mediensysteme. Sie werden sichtbar in der kolonisierenden Übernahme der Medienfunktion durch PR-Abteilungen großer Unternehmen, in dem dramatischen Zerfall regionaler und subregionaler Berichterstattung, in der Tendenz zur Deprofessionalisierung des Qualitätsjournalismus, aber auch in einer netzinduzierten Entgrenzung der Privatsphäre, die eine gehaltvolle Bestimmung des Öffentlichen immer schwerer macht.
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Insgesamt zeigt dies alles, dass längst auch die Massenmedien von den „Governance“-Netzwerken erfasst sind, in denen sich Wirtschaft und Verwaltung zur heute wichtigsten gesellschaftsgestaltenden Kraft verbinden. Stets droht deshalb die Gefahr, dass die der Meinungsbildungsfreiheit zugeordnete Medienfunktion verfehlt wird. Verfehlt wäre damit aber der normative Sinn des Gewährleistungszusammenhangs von Art. 5 Abs. 1 GG insgesamt.
Dass die Erfüllung der dienenden Medienfunktion schwierig geworden ist, lässt die verfassungsrechtliche Grundlegung und Zuweisung dieser Funktion unberührt. Wohl aber zwingt das zu einer genaueren Beobachtung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Medienfunktion immer wieder neu bestimmt und verwirklicht werden muss. Dann geraten auch Veränderungen in den politischen Systemen der demokratischen Moderne ins Blickfeld, die derzeit unter Leitbegriffen wie „Netzwerke“, „Verhandlungssysteme“ oder „Governance“ erforscht werden. Das politische System als Ganzes fällt in Beziehungen zurück, die weniger nach abstrakten Rechten und Befugnissen strukturiert sind, als vielmehr an konkreteren Interessen ausgerichtet und stärker personalisiert sind. Das politische System stellt auf Zugang und Zugehörigkeit, auf Reputation und Vertrauen, auf Schutz und Gefolgschaft um, es nimmt neofeudale Züge an. Dieser Wandel in Substanz und Form des Politischen geht mit einer durchgängigen Zunahme politischer Informalität und Intransparenz einher. Das dürfte die Bedeutung beträchtlich erhöhen, die der massenmedialen Funktion zukommt.
epdmedien, 20/2013