Die Interviews offenbaren eine deutliche Orientierung der redaktionellen Tätigkeiten an algorithmischen Funktionsweisen. Redaktionsentscheidungen und journalistische Arbeit werden von den Erfolgsprinzipien der jeweils bespielten Plattformen mitbestimmt. Das betrifft sowohl Form und Darstellung als auch die Auswahl von Themen – und damit die Inhalte. Bereits in der Formatentwicklung orientieren sich Redaktionen an Plattform-Konventionen mit dem Ziel, journalistische Inhalte so darzustellen, dass sie durch die Empfehlungsalgorithmen eine möglichst große Verbreitung erfahren. Auch in den Darstellungsweisen werden auf der jeweiligen Plattform etablierte Beitragslängen und erfolgreiche Dramaturgien übernommen. Journalist:innen nutzen in der Produktion Funktionen, die von den Apps angeboten – und dadurch vorgegeben – werden. Grundsätzlich assimilieren sich die Redaktionen dadurch in Tonalität, Ästhetik und Präsentation der Inhalte also an bestehende reichweitenstarke Angebote, die auch aus dem nicht-journalistischen Bereich stammen können.
Inhaltliche Entscheidungen sind ebenfalls an Reichweiten und algorithmischen Funktionen ausgerichtet. So kommt es vor, dass manche Themen auf bestimmten Plattformen nicht mehr umgesetzt werden, weil sie in der Vergangenheit keine guten Kennzahlen erzielten. Allerdings betont die Mehrheit der Befragten, dass in der nachrichtlichen Aktualität und bei gesellschaftlich besonders relevanten Themen die Ausrichtung an Reichweiten keine Rolle spiele. Hier werden regelmäßig bewusst Themen umgesetzt, auch wenn sie keine Aussicht auf starke Verbreitung haben.
Henning Eichler: ARD und ZDF im Bann der Algorithmen? OBS-Arbeitsheft 110. Kurzfassung der Studie. 7.6.2022 (online)