Das derzeit omnipräsente Vertrauensthema wird sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft vor allem auf die psychologische Innenwelt der Vertrauensgeber*innen, insbesondere ihre subjektiven Neigungen und Bedürfnisse, reduziert. Im Falle fehlenden Vertrauens gegenüber großen Sozialsystemen (Journalismus, Politik, Recht etc.) werden Bindungsverluste so zur höchst privaten Angelegenheit erklärt, der man etwa im Journalismus dadurch begegnet, dass man Leser*innen, Hörer*innen und Zuschauer*innen stärker in ihren persönlichen Lebenswelten ‚abholen‘ möchte.
Malte G. Schmidt argumentiert in seinem Buch „Systemvertrauen und Journalismus im Neoliberalismus“, dass eine solche Sichtweise an der eigentlichen Problematik, der tiefgreifenden Krise sozialer Integration, vorbeigeht. Anhand einer repräsentativen Befragung kann er belegen, dass das Vertrauen in verschiedene Sozialsysteme erstens nicht unabhängig voneinander ist und dass es zweitens mit Erfahrungen wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit korreliert. Seine Schlussfolgerung: Ist man im Leben etwa stark von wirtschaftssystemischen Zwängen bestimmt, werden davon die Beziehungen zu anderen Gesellschaftsbereichen überschattet. In Befragungen zum Vertrauen in den Journalismus antworten solche Personen dann im Modus einer verallgemeinerten Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Verhältnissen insgesamt.
Möchte der Journalismus hier entgegenwirken, muss er Schmidt zufolge seiner Hauptfunktion der sozialen Integration nachkommen, die darin besteht, über soziale Ungleichheiten zu berichten und so das Austragen von Konflikten über die gerechte Verteilung von Systemleistungen zu ermöglichen. Dass der Journalismus darin in den letzten Jahren nicht sehr erfolgreich war, zeigt Schmidt anhand verschiedener Medienökonomisierungsprozesse, die dazu geführt haben, wirtschaftliche und soziale Deprivationen des Publikums eher zu verstärken denn zu mildern.
(online)