„Du wirst in der Bundesrepublik eine andere Art von ‚Zensur‘ kennenlernen. Die gibt es hier auch. Die ist sehr schwierig zu benennen, sehr schwierig zu orten. Man kann sie ‚freiwillige Selbstkontrolle‘ nennen. Und die findet bei vielen statt, auch bei Schriftstellern, sehr verbreitet im Bereich des Journalismus, in den Zeitungen, in den Rundfunk- und Fernsehanstalten, in den pluralistischen Gremien.
Aus Angst vor Ärger, Einspruch anderer pluralistischer Gremien, unterlässt man Dinge, die weit unter der Grenze des Möglichen, Erlaubten, auch von der Verfassung garantierten, liegen. Das hat in den letzten Jahren zugenommen. Alte Begriffe taugen da viel besser: Mangelnde Zivilcourage, ein extremes Sicherheitsbedürfnis spielen da eine große Rolle, Marktfragen.
Pressefreiheit in der Bundesrepublik, sicher, sie ist da, aber der Druck der Anzeigenkunden ist nicht zu leugnen. Und das ist ein anonymer Einspruch in den gesamten Öffentlichkeitsapparat in der Bundesrepublik, ausgenommen, was dieses betrifft, Rundfunk- und Fernsehanstalten, die Gott sei Dank Anstalten des öffentlichen Rechts sind, solange sie es noch bleiben. Es gibt ja von rechter Seite einen kräftigen Druck in diese Richtung. Ich bin sehr gespannt, wie Du darauf reagieren wirst.“
Thomas Brasch im Gespräch mit Günter Grass (SWF/SWR, Literaturmagazin, Autorin: Micaela Lämmle, 19. Februar 1977, Minute 11:52-14:24, online)