Von Anfang an hat der Rundfunk nahezu alle bestehenden Institutionen, die irgend etwas mit der Verbreitung von Sprech- und Singbarem zu tun hatten, imitiert: Es entstand ein unüberhörbares Durch- und Nebeneinander im Turmbau zu Babel. ….
Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen.
… dann erhebt sich doch ununterdrückbar die Frage, ob es denn gar keine Möglichkeit gibt, den Mächten der Ausschaltung durch eine Organisation der Ausgeschalteten zu begegnen. Jeder kleinste Vorstoß auf dieser Linie müsste sofort einen natürlichen Erfolg haben, der weit über den Erfolg aller Veranstaltungen kulinarischen Charakters hinausgeht. Jede Kampagne mit deutlicher Folge, also jede wirklich in die Wirklichkeit eingreifende Kampagne, die als Ziel die Veränderung der Wirklichkeit hat, wenn auch an Punkten bescheidenster Bedeutung, etwa bei der Vergabe öffentlicher Bauten, würde dem Rundfunk eine ganz andere unvergleichlich tiefere Wirkung sichern und eine ganz andere gesellschaftliche Bedeutung verleihen als seine jetzige rein dekorative Haltung. Was die auszubildende Technik aller solcher Unternehmungen betrifft, so orientiert sie sich an der Hauptaufgabe, dass das Publikum nicht nur belehrt, sondern auch belehren muss.
Es ist eine formale Aufgabe des Rundfunks, diesen belehrenden Unternehmungen einen interessanten Charakter zu geben, also die Interessen interessant zu machen.
Bertolt Brecht: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. In: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Bd. 18, 133.-137. Tsd., Frankfurt a. M., S. 127-134