Wir trauern um einen außergewöhnlichen Wissenschaftler, in dessen Lebenslauf sich die Brüche der deutschen Zeitgeschichte und besonders des Universitätsfachs Journalistik abzeichnen.
Hans Poerschke ist in Berlin in einfachen Verhältnissen zur Welt gekommen. […] Dank Stipendien im Rahmen der anfangs arbeiterfreundlichen Bildungspolitik der DDR, die später einer Selbstrekrutierung der privilegierten Funktionärsschicht wich, konnte er die Oberschule besuchen und hat – ungeachtet musikalischer Begabung – nach dem Abitur 1955 an der Fakultät für Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig studiert. Das Studium schloss er 1959 mit einer Diplomarbeit über Analyse in journalistischen Beiträgen ab und kehrte – nach einer kurzen Zwischenphase als FDJ-Funktionär – an die Journalistik-Fakultät zurück. Die wurde von den Studierenden ironisch „rotes Kloster“ genannt, woraus später der Titel des Buchs wurde, mit dem Brigitte Klump pauschal mit der akademischen Einrichtung abgerechnet hat, in der die allermeisten Journalisten und Journalistinnen der DDR ausgebildet wurden. […]
Nach der Wende wurde Hans Poerschke von den Studierenden frei zum letzten Direktor der Leipziger Sektion Journalistik in der noch existierenden DDR gewählt, bevor er – im Rahmen der Evaluationen von Kurt Koszyk als „bedingt bildungsfähig“ eingestuft – unter dem Gründungsdekan Karl Friedrich Reimers 1991 das Studienprogramm Publizistik geleitet und in der Gründungskommission des neuen Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft mitgewirkt hat. Da ihm klar war, dass er darin keinen Platz haben würde, hat er sich dort nicht mehr um eine Professur beworben und ist 1992, nachdem sein letzter Arbeitsvertrag ausgelaufen war, mit frischen 55 für fünf Jahre in den Altersübergang gegangen. […]
Hans Poerschke ist in einem langen und gründlichen Forschungsprozess zu dieser Einsicht gelangt. Das ist ihm nicht leicht gefallen, er hat bei Podiumsdiskussionen von seinem Unbehagen gesprochen, aufgrund besserer Einsicht den jüngeren Mann verraten zu müssen, der er selbst gewesen ist. Mit ihm verlieren Kommunikationswissenschaft und Journalistik einen Kollegen, der den „Beruf zur Wissenschaft“ verkörpert hat wie kaum ein anderer. Dass er im deutschen Hochschulwesen nach der Wiedervereinigung keinen Platz gefunden hat, spricht ebenso gegen dessen pluralistische Vielfalt wie der Umstand, dass seine Universität sich in den 1990er Jahren des Namens von Karl Marx geschämt und entledigt hat. Auch deshalb sollten wir den redlichen Marxisten Hans Poerschke in lebendiger und ehrender Erinnerung behalten. Er – und wir mit ihm – haben es verdient.
Horst Pöttker, 06.02.2025 (online)
„Der Abriss des Roten Klosters: Wie die Journalistenausbildung in Leipzig verwestlicht wurde“, die hier als Video nachzuschauen ist (Hans Poerschkes Rede beginnt bei min. 9:45)