Und bei all dem guten Willen der Sendungsverantwortlichen, der hier zu spüren ist, gleich ob er aus eigener Einsicht geboren wurde oder aus der Furcht vor sich verstärkenden Shitstorms – bei all dem versteht man doch am Ende, dass gar nicht Heidi Klum das eigentliche Problem von Queen of Drags ist. Sie ist ja nur die Charaktermaske eines kulturindustriellen Systems, das jeden Impuls eines gemeinschaftlich selbstvergewissernden Widerstands gegen eine diskriminierende Gesellschaft letztlich doch wieder herunterbricht auf eine Konkurrenzsituation, in der jede gegen jede kämpft um ein bisschen mehr Anerkennung. Jeder Versuch, sich dieses System anzueignen im solidarischen Sinn, ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt, weil es letztlich nichts anderes duldet als den Kampf aller gegen alle; weil es nichts anderes will als die Atomisierung der Individuen und den systemstabilisierenden Stress, der aus dieser erfolgt. Darum ist Queen of Drags so enorm interessant: weil sich hier in exemplarischer Weise beobachten lässt, wie jeder Wunsch nach kollektiver, einander stützender Emanzipation sich in sein Gegenteil kehrt, sobald er ins Stahlbad der Unterhaltung gerät.
Jens Balzer, zeit.de, 14.11.2019 (online)