Zitiert: Wie die Spaltung der Gesellschaft einen ruinösen Status quo zementiert

Soziale Bewegungen sind heutzutage fast immer zerstritten. Warum ist das so, und wie kommen wir da raus? […]

Als ich in den frühen 2000er-Jahren begann, mich politisch einzumischen, sah die politische Landschaft vollkommen anders aus. Auch nicht unbedingt schön, es war die Zeit nach dem 11. September, der Krieg gegen den Terror begann. Aber damals begann auch der Aufschwung der sogenannten globalisierungskritischen Bewegung in Europa, und es herrschte eine bemerkenswerte Aufbruchsstimmung.  […]

Nicht alle konnten sich leiden, aber es wurde miteinander geredet, nicht selten auch gestritten, und an bestimmten Punkten gemeinsam gehandelt. Wir gingen 2003 gegen den Irakkrieg zu Hunderttausenden auf die Straße, wir fuhren gemeinsam zum Europäischen Sozialforum nach Paris, wo 50.000 Menschen über eine Welt jenseits von Krieg und zerstörerischem Kapitalismus diskutierten. Beim Weltsozialforum in Porto Alegre, Brasilien, waren es sogar mehr als 100.000. Die Slogans lauteten: „Eine andere Welt ist möglich“, „Die Welt ist keine Ware“. Dazu das zapatistische Motto „Fragend gehen wir voran“. […] Und eines der Geheimnisse des Erfolges war: Pluralität. […]

Zwanzig Jahre später ist von alledem kaum etwas übriggeblieben. Die globalisierungskritische Bewegung und der Konvergenzprozess der Sozialforen sind weitgehend Geschichte. Wenn ich sie bei Veranstaltungen erwähne, weiß kein Mensch unter 40, dass es diese außerordentliche weltweite Zusammenarbeit überhaupt je gegeben hat. So kurz ist das Gedächtnis der Linken. […]

Auf sich gestellt sind alle Einzelbewegungen, ob für Klimaschutz, Frieden oder soziale Gerechtigkeit zum Scheitern verurteilt. Eine isolierte Friedensbewegung hat wenig Chancen gegen einen parteiübergreifenden neuen Bellizismus; eine Klimabewegung, die nur ihr Thema im Auge hat und keine breiten Bündnisse eingeht, wird nicht genügend Kraft und gesellschaftliche Akzeptanz gewinnen können. Die zunehmende Polarisierung und Spaltung nützt allein denen, die die gegenwärtige ruinöse Ordnung der Welt solange wie möglich aufrechterhalten wollen.

Aus diesen Gründen sind Versuche, die Gräben zu überwinden, von entscheidender Bedeutung.

Fabian Scheidler, berliner-zeitung.de, 24.06.2023 (online)

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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Auf seinem YouTube-Kanal „Ryan ToysReview“ testet der kleine Amerikaner Ryan seit März 2015 allerhand Spielzeug. Die Beschreibung des erfolgreichen Channels ist simpel: „Rezensionen für Kinderspiele von einem Kind! Folge Ryan dabei, wie er Spielzeug und Kinderspielzeug testet.“ Ryan hat 17 Millionen Abonnenten und verdient 22 Millionen Dollar im Jahr. Berliner Zeitung, 04.12.2018 (online)