An der Kanzlerin Merkel, hat DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann jüngst im Tagesspiegel befunden, sei nichts mehr ostdeutsch gewesen, weder im Stil noch in den politischen Inhalten. Dem mögen viele zustimmen, womöglich wäre es Merkel sogar recht, sie wollte ja eine gesamtdeutsche Kanzlerin sein.
Das Entscheidende aber ist etwas anderes. Vom Ende her betrachtet, also Dezember 2021, hat sie es mit ihrem Regierungsstil ermöglicht, dass in das wiedervereinigte Land Dinge diffundieren konnten, die einst in der DDR funktioniert hatten. Die Selbstverständlichkeit, dass Frauen arbeiten gehen. Das Feministisch-Selbstbestimmte, ein modernes Frauenbild. Flächendeckende Angebote an Krippen, Kindergärten, Ganztagsschulen. Ärztehäuser, die im Osten Polikliniken hießen. Mobile Gemeindeschwestern, die übers Land fahren, wo der Arzt eingespart wurde. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Nur dass das bis heute kaum jemand hören will. Was richtig ist in diesem Land, ist nach wie vor westlich geprägt. ….
Was soll das überhaupt sein, das typisch Ostdeutsche? Ist nicht alles durchmischt, Hinzüge, Wegzüge, kreuz und quer. Stimmt – nur mit Ostdeutsch-Sein hat das wenig zu tun. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat mal gesagt, Ostdeutsche seien die, die durch die wilden Umbruchserfahrungen verbunden seien und diese in Familien weitergeben.
Cerstin Gammelin, sueddeutsche.de, 05.12.2021 (online)