Die eigenen Interessen klar zu formulieren. Die USA tun es, die Franzosen tun es. Deutschland hingegen schweigt darüber gerne, auch gegenüber den eigenen Wählerinnen und Wählern. Über Geld und über Interessen spricht man eben nicht.
Deutsche Unternehmen lässt man Profite machen und Wohlstand schaffen. So weit, so gut. Alles aber überdeckt von einem moralischen Deckmantel angeblicher geopolitischer Interesselosigkeit. In wohl kaum einem Politiker-Begriff kam das mantraartig so sehr zum Ausdruck wie bei Nord Stream 2, dem laut Angela Merkel und auch Olaf Scholz angeblich “rein wirtschaftlichen Projekt”. …
Deutschland braucht also ein neues Prinzip, und zwar für sich selbst. Man könnte es nennen: “Wandeln durch Handeln”. Es wäre eine Zeitenwende, die sich nicht nur auf den Umgang mit Russland bezieht, sondern auf die deutsche Interessenpolitik. Diese Politik muss sich wandeln, indem Politiker endlich handeln.
Das heißt auch: Die Ziele des eigenen Handelns zu kommunizieren, nach innen und nach außen. Für interessenpolitische Druckerei ist angesichts der Weltlage keine Zeit mehr. Und trotzdem geht es so weiter wie bisher. …
Wer Interessen und Ziele nicht klar formuliert, läuft später auch Gefahr, die Akzeptanz für plötzlich notwendiges Handeln zu verlieren. Das gilt auch für derzeit neu entstehende Abhängigkeiten, etwa von sehr teurem Flüssiggas aus den USA oder dem Nahen Osten. Hier gibt es wenig Transparenz. Die Not ist groß, das versteht fast jeder intuitiv. Was aber daraus folgt, welche Auswirkungen diese Strategie für den Standort Deutschland hat, das ist schwer zu erfahren. Alternativlos, ja vielleicht. Erklärungsbedürftig, ja unbedingt!
Bastian Brauns, Tagesanbruch, t-online.de, 24.10.2022 (online)