Während Verlage gerade erst begonnen hatten, unter den Bedingungen des von Tech-Riesen wie Meta und Google dominierten digitalen Raums erfolgreiche Reichweitenstrategien zu etablieren, wendet sich das Spiel nun erneut. Und diesmal sieht es so aus, als könnten automatisierte Systeme die journalistischen Medien als Absender von Recherchen und Einordnungen faktisch zum Verschwinden bringen. ChatGPT, ClaudeAI oder Gemini werden zu Erstkontakten in der Informationssuche – aber sie bieten weder Verantwortung für den Inhalt, noch vergüten sie die Arbeit, die in seine Erarbeitung geflossen ist. Woher „weiß“ ChatGPT, was gestern im Libanon passiert ist? Diese Frage können nur Korrespondentinnen von Auslandssendern und Nachrichtenagenturen beantworten. Doch wer bezahlt deren (teure) Arbeit vor Ort noch, wenn das Ergebnis per Chatbot frei verfügbar ist?
In dieser Lage habe ich der Signal-Präsidentin Meredith Whittaker auf der Publix-Bühne eine Frage gestellt, die viele Redaktionen derzeit bewegt: Was bedeutet es für die Demokratie, wenn große KI-Modelle die Informationshoheit übernehmen, und wie sollte der Journalismus darauf reagieren – von der New York Times bis zum Spiegel?
Ihre Antwort: „Wir müssen anfangen, uns die Frage zu stellen, wie wir Journalismus als Kraft, die sich autoritären Bewegungen entgegenstellt, erhalten – auch wenn das Geschäftsmodell gänzlich verschwindet.“
Whittaker formuliert hier nicht nur ein Risiko, sondern einen Wendepunkt. Denn wenn sich das dominante Finanzierungsmodell – Reichweite gegen Werbegeld – von Journalismus weiter auflöst, brauchen wir eine klare Neuorientierung: hin zur Publikumsbeziehung statt Klickrate, hin zu Dialogräumen statt Distributionslogik, hin zum Aufbau von Vertrauen, indem Redaktionen die Bedürfnisse ihrer Nutzer:innen kennen und entsprechende Formate und Themen setzen.
Maria Exner, publix.de, 30.09.2025 (online)