Immer wieder wird Medien unterstellt, einseitig zu sein, eine Meinung geradezu vorzugeben. Ich arbeite nun seit einem Monat im Meinungsressort und erlebe das Gegenteil davon: Themen und Thesen kommen aus der ganzen Redaktion im Ressort an. Positionen werden darauf geprüft, ob ein Autor im Stoff ist, ob seine Argumentation in sich stimmig ist. Grenzen werden nur anhand von Fakten und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gezogen. Sind viele bei einem Thema ein und derselben Ansicht, wird nach einem Redakteur gesucht, der einen anderen Standpunkt vertritt. Manchmal erfolgreich, manchmal vergeblich – wie neulich, als jemand gesucht wurde, der Sanktionen gegen Israel ablehnt. Wir möchten die unterschiedlichen Stimmen der Gesellschaft abbilden. Das bedeutet allerdings keine falsche Ausgewogenheit: Das Ressort hätte beispielsweise 2020 keinen Meinungsbeitrag veröffentlicht, der das Virus für harmlos erklärte, nur damit Letzteres auch einmal gesagt war.
Was am Ende in der Zeitung und auf der Website erscheint, kann nie die absolute Wahrheit sein.
Sara Maria Behbehani, sueddeutsche.de, 03.10.2025 (online)