Die Verantwortung für Störfälle im Zweifel auf einzelne Personen abzuwälzen, ohne die lange bekannten Strukturdefizite zu bearbeiten, ist absurd, aber zur Verschleierung des Organisationsversagens funktional. […] Gleichzeitig ist es die gröbste Form eines Musters, das häufig und besonders deutlich in schlecht geführten Unternehmen zu beobachten ist: Die Folgen von Organisationsmängeln werden einzelnen Mitgliedern zugerechnet. Auf diese Weise werden die Mitarbeiter im Normalbetrieb als Puffer missbraucht und bei Störfällen als Sündenböcke instrumentalisiert. […]
Organisationen, die ihren Mitgliedern die zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigten Ressourcen, etwa Zeit, Qualifikation, Personalstärke, Technik, nicht zur Verfügung stellen, zwingen sie dazu, diese Mängel irgendwie aufzufangen. Das geschieht mit Tricks und Täuschungen, unbezahlter Mehrarbeit und der Übernahme persönlicher Risiken. Das geht zu Lasten der Arbeitsqualität […]
Innerhalb der Belegschaft entlädt sich die durch den Mangel notwendiger Organisationsressourcen ausgelöste Drucksituation in Form von Konflikten, etwa im Streit über knappe Mittel oder darüber, wer besonders unbeliebte Aufgaben übernehmen muss. Führungskräfte aus dem Mittelmanagement werden dabei schnell zur Pufferzone mit der undankbaren Aufgabe, die Organisationsdefizite gegenüber ihren Untergebenen zu legitimieren („Leute, es geht nicht anders …“), sie selbst abzufedern (etwa durch Mehrarbeit) oder ihre Mitarbeiter dazu zu bringen. Personen als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, die das Organisationsversagen ausbügeln und ausbaden müssen, ist nicht die Ausnahme, sondern in vielen Organisationen die schlechte Regel.
Peter Laudenbach, sueddeutsche.de, 8.3.2023 (online)