Und das ist nur ein Beispiel für zwei Risiken, die derzeit unterschätzt werden.
Erstens kommt es durch den Transfer von Entscheidungen und Tätigkeiten auf Maschinen zwangsläufig zu einer weiteren Zentralisierung von Macht und Einfluss, die sich immer stärker auf eine Instanz konzentrieren. Entscheidungen, die bisher von vielen verschiedenen Mitarbeitenden von Tag zu Tag dezentral getroffen wurden, werden nun durch ein KI-System gebündelt. Diese Verschiebung ist fast immer auch dann bedeutsam, wenn die Mitarbeitenden bisher weisungsabhängig waren oder anhand Standards und Checklisten tätig geworden sind. Denn einen individuellen, von der Führung kaum kontrollierbaren Entscheidungsraum gibt es fast immer. […]
Zweitens ist nur wenigen klar, dass eine KI im Herzen konservativ ist. Das ist bemerkenswert, weil es so kontraintuitiv ist – schließlich gelten Künstliche Intelligenzen derzeit als der Inbegriff von Fortschritt. Die Möglichkeit von automatisierten Anpassungen über neue Trainingsdaten, also etwa ein eingebauter Mechanismus zur Aktualisierung, stellt in der Tat eine merkliche Verbesserung gegenüber den starren, expliziten Regeln klassischer Algorithmen dar. Allerdings wird im Zuge der Dateneuphorie oft unterschätzt, dass Daten ausschließlich Informationen und Vorgänge aus der Vergangenheit beinhalten. Datenbasierte Ansätze erlauben es zwar, flexibel auf ungewohnte Situationen zu reagieren, allerdings tun sie das stets mit Mustern, die sie aus der Vergangenheit gelernt haben. […]
Eine primär datenbasierte digitale Transformation gibt dem Status quo sehr viel mehr Gewicht und könnte auf Dauer die Weiterentwicklung der Gesellschaft und die Innovationskraft der Wirtschaft hemmen.
Christian R. Ulbrich, Urs Gasser, faz.net, 18.08.2024 (online)