Krimis sind nie einfach Unterhaltung. Sie prägen unser Verständnis von Wahrheit und Gerechtigkeit, sagt Kulturwissenschaftlerin Sandra Beck. …. Sowohl Täter*innen als auch Ermittler*innen übernehmen im Krimi eigentlich nur eine bestimmte Funktion. Die Täter*innen verursachen eine Störung, das ruft die Ermittler*innen auf den Plan, die versuchen, diese Störung zu heilen, oder zumindest, das Taträtsel zu lösen. Das klassische Erzählprinzip ist: Wer war es und warum? Um diese zentralen Rätselfragen zu lösen, greifen Krimis gezielt darauf zurück, dass sie die Erzählperspektive sehr eng an die Perspektive der Ermittler*innen zurückbinden. …. Eines der grundlegenden Probleme ist, dass immer nur die eine Wahrheit erzählt wird. Und die war lange an eine westliche, europäische, weiße Perspektive gekoppelt. Polizeiserien können aber durchaus zeigen, dass es eben nicht nur die eine Perspektive auf Wahrheit gibt. Oder den einen Blick auf Täter*innen als diejenigen, die verfolgt, vor Gericht gestellt und weggesperrt werden. Ich glaube, Serien sollten sich trauen, Zuschauer*innen etwas zuzumuten: nämlich sich selbst infrage zu stellen und auf spektakuläre Serienmörderplots, die wir sehr gut von uns weghalten können, zu verzichten. Verbrechen müssen stärker in ihren sozialen Kontexten beleuchtet werden, also die Frage gestellt werden: Welches Verbrechen ist denn eigentlich symptomatisch für welche Gesellschaft? Das würde bedeuten, dass wir den Fokus von Gewaltverbrechen wegnehmen und uns zum Beispiel stärker der White-collar-Kriminalität zuwenden, also Straftaten, die in privilegierten Gesellschaftsschichten vorkommen. Denn die werden bislang nicht so oft thematisiert.
Sandra Beck, taz.de, 14.06.2020 (online)