Dass in der Kunst eine Art Gesinnungsprüfung eingeführt wird, dass Intendanten wegen ihrer politischen Auffassung entlassen werden – über viele Jahrzehnte waren solche Dinge undenkbar. Ich hatte mit dem mittlerweile verstorbenen Maler Jörg Immendorff gute Gespräche. Er hatte eine lange maoistische Phase und brüstete sich mit seinen Einladungen nach China von der Kommunistischen Partei. Niemand ist auf die Idee gekommen, auch nur eine Ausstellung von Immendorff deswegen abzusagen, trotz der chinesischen Kulturrevolution mit 20 Millionen Toten. Ich halte dieses Verständnis von Freiheit für richtig. Eingriffe des Staates in die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit verbieten sich. Gesinnungsprüfungen gehen gar nicht.
Julian Nida-Rümelin, sueddeutsche.de, 09.08.2024 (online)