Aus sehr prinzipiellen Gründen hat der im Februar dieses Jahres überraschend und viel zu jung gestorbene René Pollesch nicht zugelassen, dass andere Regisseure seine Stücke auf die Bühne bringen. Schließlich hat er sie mit den jeweiligen Spielern entwickelt, sie sind ein kollektives Produkt, kein Text, den man einfach nachspielen könnte. Darin liegt natürlich eine schöne Poesie: Theater ist eine Kunst für den Moment, auch wenn dieser Moment im Gedächtnis und im Gefühlsleben der Zuschauer lange nachwirken kann.
Wenn die Pollesch-Inszenierungen irgendwann abgespielt sein werden, kann man seinem Theater nur noch in alten Filmaufzeichnungen oder den Texten begegnen. Ein Klassiker zu werden oder gar wie Brecht seine Inszenierungen in Modellbüchern als Vorlage zum korrekten Nachspielen festzuhalten, war so ziemlich das Letzte, was dieser auf freundliche Weise radikale Künstler wollte. Logisch, dass er genau deshalb ein Klassiker ist, der wie Brecht eine neue Form von Theater erfunden hat.
Peter Laudenbach, sueddeutsche.de, 13.12.2024 (online)