Man mag sich eine Welt kristalliner Klarheit und Linearität noch so sehr wünschen, das verhindert nicht, dass die Realität unseres Lebens mit seinen umweltsensiblen, irritationsanfälligen: kurz: mit seinen offenen Austauschbeziehungen ausnahmslos zu mäandernden, oftmals verschlungenen Verläufen führt, ob in der Natur, bei zwischenmenschlichen Beziehungen oder gesellschaftlichen Entwicklungen. Das Wechselverhältnis verändert die eine Seite und die andere, Fluss und Ufer, mich und dich.
Dann ist es aber unsinnig, den Fluss auf seine Flussidentität festzulegen und das Ufer auf seine Uferidentität. In ihrer Lebensform impliziert das Kind die Mutter und die Mutter das Kind. Ihre Gestalt entsteht und verändert sich stetig am jeweils anderen. Dieses Gesetz gilt in allen offenen sozialen Beziehungen und es lässt die Identitätsdebatten der vergangenen Jahre in vielem als schwingungsfeindliche, hegemoniale Verhärtungen erkennen.
Volker Demuth, Deutschlandfunk Essay und Diskurs, 14.12.2025 (online)

