In der Geschichte der Medienkritik gab und gibt es herausragende Figuren, von Karl Kraus bis Heinrich Böll, von Noam Chomsky bis Neil Postman, von Oliver Kalkofe bis Jan Böhmermann. Die Mehrzahl der Medienkritiker aber besteht aus freien Journalisten, die von der Branche leben müssen, die sie kritisieren. Ihre moralische Sonderposition als „selbst ernannte Wächter und Richter“ der Medienwelt macht sie bei vielen Kollegen suspekt. Denn Medienkritiker finden sich in einer ähnlichen Doppelrolle wie Whistleblower: Sie ‚verraten’ ihre Kollegen und pochen zugleich auf hohe ethische Standards.
Ihre prekäre Außenseiterposition verleitet Medienkritiker zudem zu Kompromissen, die für Hofnarren, die überleben wollen, charakteristisch sind. Sie entwickeln individuelle Kosten-Nutzen-Rechnungen: Mit wem verdirbt man es sich besser nicht, wem möchte man gefallen oder einen Gefallen tun? Der Übergang von der journalistischen Sorgfalt zur Sorge um die eigene Existenz ist fließend und für Leser und Zuschauer kaum durchschaubar. So kritisieren Medienkritiker Medien, in denen sie selbst veröffentlichen (wollen), in der Regel nicht. Ein Ausweg könnte sein, die Medienkritik an branchenferne Berufe zu delegieren oder an „Outsider“ wie den Youtuber Rezo. Doch selbst wenn die Medienkritik vom eigenen Gewerbe völlig unabhängig wäre, bliebe die Frage: Wo veröffentlichen?
Im beginnenden Zeitalter der Aufklärung war das kein Problem. Das von der Kritik genutzte Medium verkörperte die Kritik, ja es war buchstäblich ihr Ausdruck. Denn Bücher, Druckereien, Flugblätter zählten zu jenem neumodischen Teufelswerk, das die Kirche, um ihre Macht zu sichern, verhindern wollte. Kritiker der Kirche nutzten also gerade nicht die Kirchenkanzel für ihre Kritik, sondern etwas Neues. Medienkritik bräuchte daher ein Transportmittel, das sich von herkömmlichen Medien unterscheidet.
Wolfgang Michal in seinem Blog am 05.03.2020 (online)