In einer funktionierenden Demokratie müssen Minderheiten und die Freiheits- und Bürgerrechte der Individuen geschützt werden. Genau dafür sind die Institutionen des demokratischen Rechtsstaats da. Denn sonst kann sich der „Volkswille“ in der demokratischen Debatte ja gar nicht frei bilden. […]
Die Demokratie wird ausgehöhlt, aber die Fassade bleibt intakt. Das ist der Unterschied zwischen der „illiberalen Demokratie“, wie Orbán selbst sein Regierungssystem nennt, und offenem Faschismus. Bei Faschismus denkt man an Machtergreifung, Fackelmarsch durchs Brandenburger Tor, Massenverhaftungen, Staatsterror, die Demokratie ist von heute auf morgen vorbei. Genau das ist nicht der Plan, wenn man sich anschaut, was in Ungarn geschieht. Orbán hat die Institutionen Schritt für Schritt umgebaut und unter seine Kontrolle gebracht, aber sie bestehen weiter. Es gibt Gerichte, eine Opposition, das Parlament, Medien. Aber sie sind so geschwächt, dass es fast unmöglich wird, eine effektive Opposition und eine echte Kontrolle der Regierung zu organisieren. […]
Orbán hat das Verfassungsgericht nicht abgeschafft. Er hat einfach die Zahl der Verfassungsrichter verdoppelt und die Stellen mit seinen Leuten besetzt. Er hat die unabhängigen Medien nicht verboten, sondern die Eigentümer gezwungen, sie an Unternehmen zu verkaufen, die der Regierung nahestehen. Inzwischen ist es für die demokratische Opposition sehr schwierig, aber nicht unmöglich, Orbán abzulösen.
Peter R. Neumann, sueddeutsche.de, 25.08.2025 (online)