Die Bedenken von Georg Seeßlen und Peter Kosminsky, Streaming-Anbieter würden alten Wein in neuen Schläuchen anbieten und dabei vorwiegend einen amerikanischen Look bevorzugen, sind nicht ganz falsch, greifen aber aus zwei Gründen zu kurz. Zum einen sehen US-Produktionen wie beispielsweise die Serie „Living with Yourself“ – in der Paul Rudd als schluffiger Werbefachmann seinen Platz in der Welt von seinem eigenen Klon streitig gemacht wird – oftmals gar nicht so amerikanisch aus. Zum anderen bieten Netflix und Amazon Prime Video zahlreichen lateinamerikanischen, europäischen und asiatischen Filmschaffenden die Möglichkeit, eine länder- und regionalspezifische Ästhetik zu erproben. Dass diese Freiheit, wie etwa in der ersten deutschen Streaming-Serie „You Are Wanted“ (Amazon Prime Video) von und mit Matthias Schweighöfer (vgl. MK-Kritik), dazu verwendet wird, um den amerikanischen Look akribisch nachzuahmen, ist nur eine Seite der Thematik. Dagegen führt „Dark“ von Baran bo Odar, Jantje Friese und Martin Behnke vor Augen, inwiefern eine Serie mit einem Atomkraftwerk, saurem Regen und griesgrämigen Gesichtern ausgesprochen deutsch aussehen kann, mit ihrem kunstvoll verflochtenen Zeitreise-Drama aber zugleich internationale Standards des seriellen Erzählens erfüllt.
Manfred Riepe, medienkorrespondenz.de, 15.03.2020 (online)