„Ist Joachim Gauck der Richtige für das Amt des Bundespräsidenten? Nach SPD, Grünen und FDP hat sich auch die Union auf Joachim Gauck als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt geeinigt. Ist er der Richtige für das Amt? Würden Sie ihn wählen?“ Dies fragte am Montag der MDR und wies in seinen Sendungen auf diese Online-Umfrage hin.
Allerdings sollte diese den späten Abend nicht mehr erleben. Denn der MDR zog das Voting zurück. „Auslöser hierfür war eine offensichtliche technische Manipulation, durch die das Abstimmungsergebnis innerhalb von Minuten drastisch verändert wurde. Der amtierende Redaktionsleiter Holger Hentze sagte, nach 18 Uhr habe es innerhalb weniger Minuten Tausende Zugriffe gegeben. Dies sei äußerst auffällig und lasse darauf schließen, dass hier jemand technisch manipuliert habe. Zuvor hatten sich Gauck-Befürworter und Gauck-Gegner nahezu die Waage gehalten. Danach kippte das Abstimmungsergebnis innerhalb von Minuten. Die Stimmen der Gauck-Befürworter stagnierten bei 841 und die der Gauck-Gegner explodierten geradezu und summierten sich auf 3.324. Daraufhin entschloss sich die Redaktion, wie in solchen Fällen üblich, das manipulierte Voting zu schließen und von der Seite zu nehmen. Vorwürfe, der MDR habe die Abstimmung nur deshalb unterbrochen, weil das Ergebnis dem MDR politisch nicht ins Konzept passe, wies die Redaktionsleitung zurück. Zwar seien Online-Abstimmungen nicht repräsentativ, andererseits sollten sie jedoch ein Stimmungsbild wiedergeben. Werde das durch Manipulation verfälscht, besitze es keinerlei Aussagekraft mehr.“ So erklärte man es 20 Stunden später.
Allerdings werden die Fakten dieser Darstellung durch die im Netz kursierenden Screenshots widerlegt (hier und hier und hier). Oder sind diese gefälscht? Wenn nicht, dann kann man nachvollziehen, dass die Zahl der Teilnehmenden eben nicht innerhalb von Minuten um Tausende, sondern kontinuierlich stieg. Allerdings muss dies nicht Folge einer Mobilisierungsstrategie Dritter gewesen sein, da der MDR in verschiedenen Sendungen auf die Umfrage hinwies. Wenn dies in einer Nachrichtensendung geschieht, die von 300.000 Leuten gesehen wird, dann reichen 1% aus, um die Teilnehmerzahl um 3.000 steigen zu lassen. Auch die Stimmen für Joachim Gauck stagnierten nach 18 Uhr nicht bei 841. Diese Stimmenzahl erreichte er erst gegen 19.37.
Festzustellen ist, dass die Umfrage gegen 19.37 Uhr ein Ergebnis erbrachte, auf das so ähnlich auch die Ostseezeitung gekommen ist. Allerdings ist deren Umfrage noch online. Sicher, die hat bisher nur ca. 1.600 Teilnehmer, allerdings leben in deren Verbreitungsgebiet auch ca. nur ein Zehntel der Menschen des MDR-Gebiets.
Die Magdeburger Volksstimme zitiert MDR-Rundfunkratsmitglied Guido Kosmehl (FDP): „Solche Umfragen sind doch nie repräsentativ. Wenn der MDR damit nicht umgehen kann, sollte er auf sie völlig verzichten.“ MDR-Rundfunkratsmitglied Stefan Gebhardt (Linke) widersprach dem MDR: „Die Umfrageergebnisse waren von Anfang an klar gegen Gauck.“ Der Mitteldeutschen Zeitung sagte er, dass der Sender doch um das Risiko wissen müsse, dass ein offenes, nicht repräsentatives Abstimmungsverfahren einen ungewissen Ausgang nehmen kann.
Auf Flurfunk Dresden fasst das stefanolix schön so zusammen: „Es ist zweifellos möglich, dass etwas mehr als 3.000 Leute gegen Joachim Gauck abgestimmt haben — wenn sie in kurzer Zeit mobilisiert werden konnten. Es ist aber journalistisch fahrlässig, solche Umfrage-Werkzeuge überhaupt erst einzusetzen, wenn man weiß, dass die Ergebnisse statistisch und journalistisch völlig wertlos sind. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat das doch überhaupt nicht nötig. Dafür werden doch die Gebührengelder u.a. gezahlt: dass sich ein Sender nicht am alltäglichen Klick-Wettbewerb beteiligen muss.“
Festzuhalten bleibt: Zwischen dem, was der MDR erklärt, sowohl online wie auch bei mdrinfo (21.2., 16.25) und dem, was sich an Fakten abzeichnet, gibt es Widersprüche. Und dies macht stutzig. Der Sender hätte die Manipulation nicht nur behaupten, sondern beweisen müssen. Auf tausendfache Zugriffe zu verweisen zieht nicht, wenn ein Massenmedium wie der MDR in vielen seiner Sendungen die Umfrage an Massen heranträgt. (Es braucht nicht einmal 1 Prozent der Fernsehzuschauer (genau 0,5%) der Regionalmagazine, um 3.500 Teilnehmer zu erreichen)
Zudem wäre noch zu beweisen, dass das Ergebnis nicht dem Stimmungsbild derjenigen entspricht, die die MDR-Programme hören bzw. sehen und sich an Internetumfragen beteiligen. Dies könnte nur durch eine entsprechende repräsentative Umfrage geschehen.
Ansonsten kann es nur einen Grund geben, die Umfrage „zu erden“. Die jeweiligen Zwischenstände entfernten sich immer mehr von dem Inhalt der Berichterstattung des MDR – in der es zum überwiegenden Teil positive Beiträge und O-Töne gab.
„Der naheliegende Verdacht einer technischen Manipulation konnte inzwischen ausgeschlossen werden. Der MDR wird den Vorgang aber umfassend weiter untersuchen.“ So heißt es nun, Mittwochabend, 22.2. Doch was war es dann? Wenn das Ergebnis nicht in das Bild der Redaktion gepasst hat, wenn die Redaktion davon ausgegangen ist, dass das Ergebnis manipuliert wird, obwohl es technisch nicht manipuliert wurde, dann wird doch deutlich, dass die Vorstellung der Redaktion nicht der Realität entspricht. Oder? Dann hat die Redaktion – wenn auch ohne Einfluss von außen – politisch agiert, indem sie die Umfrage beendet hat – damit das Ergebnis nicht politisch genutzt werden kann.