Wenn man Bürgerinnen und Bürger über die Berichterstattung der Medien befragt, so hört man vor allem Folgendes: Medien berichten einseitig und oberflächlich. Medien personifizieren Probleme. Medien benachteiligen bestimmte politische Gruppierungen. Doch stimmt das so?
Das Institut für Empirische Medienforschung (Köln, www.ifem.de) untersucht, welche Themen wie oft in den Hauptnachrichten von ARD, ZDF, RTL und SAT.1 kommen und zählt zudem aus, welche Parteien wie oft mit welchen Politikern in den Nachrichtensendungen präsent sind. Im Jahr 2010 wurde in den entsprechenden Nachrichtensendungen am meisten über die Eurokrise (1243 Minuten) berichtet, es folgen Afghanistan (1125 Minuten), die Fußball-WM (1009 Minuten), das Winterwetter (739 Minuten) sowie das Erdbeben auf Haiti (612 Minuten).
Politiker der CDU traten 6180mal auf, die der FDP 2294mal, gefolgt von SPD mit 2147, CSU mit 1361, Grüne mit 990 und LINKE mit 665 Auftritten. Es fällt auf, dass vor allem die Regierungskoalition ins Bild gesetzt wird. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass vor allem die Regierung und deren Vertreter als Akteure wahrgenommen werden. Doch rechtfertigt dies, dass Vertreter der Regierungsparteien (9835) dreimal so oft im Bild sind wie der Opposition (3302)? Nun, wenn man öfter darüber berichten würde, was Politiker konkret getan statt nur zu tun angekündigt haben, würde sich das Verhältnis sicher verschieben. Außerdem fällt auf, dass man dem Stärkeverhältnis im Bundestag nicht gerecht wird. Auch wenn das Stärkeverhältnis im Bundestag nicht bei der Zahl der Nennungen von Politikern als Grundlage zu nehmen ist: diese Differenzen sind wohl kaum mit mangelnden politischen Aktivitäten zu erklären. Nicht zuletzt profitiert die UNION davon, dass sie CSU auch als bundesweite Partei wahrgenommen wird – obwohl sie doch nur in Bayern zur Wahl antritt.
Wem haben die Medien zu dienen?
Der Rundfunk hat eine der Demokratie „dienende Freiheit“. Er soll der Demokratie durch einen wesentlichen Beitrag zur Meinungs- und Willensbildung dienen. Dies geschieht nicht nur über Informationsendungen und laufende Berichterstattung, sondern auch durch Beiträge zu Bildung und Kultur. Diese Anforderung wird auch an die privaten Veranstalter gestellt, auch wenn die Messlatte für sie nicht ganz so hoch ist.
Insbesondere die Unterhaltungsangebote haben einen wertprägenden Charakter und beeinflussen die Meinung von Bürgerinnen und Bürger zum Teil stärker als die politischen Formate. (Es muss ja einen Grund haben, warum Politiker sich den harten Politformaten entziehen, aber gerne in die unterhaltenden Talkshows gehen.)
Für viele Regierungspolitiker haben ARD und ZDF zudem dem Machterhalt der Regierungen zu dienen. Insbesondere die ARD-Anstalten mit ihren Dritten Programmen sowie dem Hörfunk erreichen tägliche signifikante Publika. Eine entsprechende positive Berichterstattung kann dafür sorgen, dass sich die Waage der wahlentscheidenden Mehrheiten auf der Regierungsseite neigt. Da kann es schon ausreichen, 10 Prozent des Publikums zu „beeinflussen“. Dazu braucht man seine Leute in den Sendern, die eine „kritikarme“ Berichterstattung garantieren. Und dies ist vor allem der Grund, warum sich die Regierungen vor allem bei Personalentscheidungen einmischen. Und so offenbart jede Personalentscheidung, ob der jeweilige Sender der Demokratie oder dem Machterhalt dienen soll.
Welche Macht können Medien haben?
Oftmals wird gesagt, dass Medien keine Macht haben. Sicher, wer erinnert sich heute noch daran, was er gestern in den Fernsehnachrichten gesehen, in den Radionachrichten gehört oder in der Zeitung gelesen hat. Doch es gibt immer wieder einzelne Beispiele, wie Medien die Stimmung in einer Gesellschaft bzw. das Handeln von Menschen bestimmt haben. Diese lassen sich für Buch (Goethes „Die Leiden des jungen Werther), Zeitung (Arbeiterlesezirkel), Radio (Hörspiel von Orson Wells zur Landung Außerirdischer), Fernsehen (USA-Wahlkampf 1960), Internet (Veröffentlichungen von Wikileaks) sowie soziale Netzwerke finden.
Wie werden Medien genutzt?
Täglich verbringt der „durchschnittliche Deutsche“ mehr als 10 Stunden mit Medien. Die meiste Zeit entfällt dabei auf Fernsehen (240 Minuten täglich), Radio (180 Minuten) und Internet (80 Minuten). Allerdings verbringen 14 bis 29jährige mehr Zeit im Internet (160 Minuten) als vor dem Radio (140 Minuten) oder Fernseher (150 Minuten). Gegen 21 Uhr sehen im Schnitt 32 Mio. Deutsche Fernsehen, 58 Millionen Menschen hören im Schnitt einmal täglich Radio.
Wem gehören Medien?
Auch wenn viele private Medienanbieter in Deutschland Aktiengesellschaften sind, so werden sie doch stark von Privatpersonen geführt und geprägt: so die Bertelsmann AG (Liz Mohn und Kinder), die Axel Springer AG von Friede Springer, die Verlagsgruppe von Holtzbrinck (Stefan von Holtzbrinck), die Bauer Media Group (Yvonne Bauer) sowie Hubert Burda Media durch Hubert Burda. Die ProSiebenSat.1 Medien AG wird durch die Finanzinvestoren KKR und Permira gesteuert.
Sind Medien auch für Entpolitisierung und niedrige Wahlbeteiligung verantwortlich?
Aus meiner Sicht kann man nicht von einer niedrigen Wahlbeteiligung auf eine Entpolitisierung der Gesellschaft schließen. Es kann viele Gründe für eine geringe Wahlbeteiligung geben: das Wetter, das politische Klima, die Zufriedenheit mit der bestehenden Regierung, das Vertrauen in das politische System, das Fernsehprogramm, die Arbeitslosenquote, historische Ereignisse, die wirtschaftliche Lage u.a.
Festzustellen ist, dass es immer dann eine hohe Wahlbeteiligung gab, wenn in der Gesellschaft um Alternativen gestritten wurde. Sicher, in den letzten Jahren haben die Medien oftmals die Argumentation der Regierenden übernommen und bestimmte Entscheidungen als alternativlos dargestellt. Es macht sich für die Medien einfacher, politische Auseinandersetzungen zu personalisieren, Streit als Kampf um Macht statt als Auseinandersetzung um Konzepte darzustellen. Skandalisierung sichert Einschaltquoten bzw. Auflage. Zudem gibt es in den Medien eine Vielzahl von Sendungen (Talkshows), in denen sich Politiker selbst darstellen können. „Alternative Parteien“ haben im Falle einer Regierungsbeteiligung oftmals ihre vorab verkündeten Ziele nicht weiter aktiv verfolgt. Glaubwürdigkeitsverlust war die Folge. Doch die oberflächliche und holzschnittartige Darstellung in den Medien hat ihren Grund auch in der finanziellen und personellen Ausstattung von Redaktionen und der politischen Unabhängigkeit der Verantwortlichen. Oftmals hat man innerhalb einer Redaktion nur die Möglichkeit, ein Abbild der Ereignisse zu liefern. Zudem: Der Journalismus kann nicht besser als die Gesellschaft sein, die er abbildet.
In den letzten Jahren zeigte sich immer wieder, dass Bürgerinnen und Bürger sich auch für ihre Interessen einsetzen (Stuttgart21, Atomdebatte). Einer wachsenden Zahl ist dabei bewusst geworden, dass es nicht ausreicht am Wahltag abzustimmen, sondern dass man sich für seine Interesse gezielt und aktiv einbringen muss.
Welchen Einfluss haben Meinungsforschungsinstitute auf die Wahlentscheidung?
Meinungs- und Wahlumfragen können Stimmungen und Trends verstärken und sind somit aktuell politisch wirksam. Denn es gibt Wählerinnen und Wähler, die sich genau überlegen, ob sie eine Partei wählen, die im Abwärtstrend ist, an der 5%-Hürde scheitern könnte bzw. mit der keiner eine Koalition bilden will.
68 Prozent der Bürger unterstellen anderen Wählern, sich nach Umfrageergebnissen zu richten. Somit ist davon auszugehen, dass dies auch für sie gilt.
Es gibt einen relevanten Teil der Wähler, die taktisch wählen und so zum Beispiel Erst- und Zweitstimme splitten. So gewann die LINKE als PDS im Jahre 1994 in Berlin die notwendigen Direktmandate für den Einzug in den Bundestag. Bei der Bundestagswahl 2009 bekam die FDP von CDU-Wählern, die eine Ende der großen Koalition wollten, „Leihstimmen“.
Meinungsumfragen sind ungenau. Zumeist schließt man aus einer Stichprobe von 1.000 Befragten auf das Wahlergebnis von 44 Millionen Menschen. Und so wirkt hier der Lotterieffekt: Ergibt sich bei 1.000 Befragten ein Anteil von 40%, so kann der Wähleranteil in der Bevölkerung nur mit +/- 3 Prozentpunkten vorhergesagt werden – wenn alle Befragten die Wahrheit sagen. Die Umfragen erfolgen telefonisch, doch bestimmte Wählergruppen sind telefonisch schwer erreichbar. Und so gewichten die Meinungsforschungsinstitute ihre Ergebnisse. Wie, das ist zumeist ein Geheimnis. Eine Untersuchung der Wichtung bei infratest/dimap in den Jahren 1986 bis 1994 durch Fritz Ulmer ergab, dass das Institut CDU/CSU 74mal nach oben (bis zu 8%-Punkte), FDP 70mal nach oben (bis 4%-Punkte) und die SPD 69mal nach unten (bis 8%-Punkte) gewichtet hatte.
Doch warum sind dann die 18-Uhr-Wahlprognosen genauer? Die Stichprobe ist 100fach größer, damit steigt die Genauigkeit um das Zehnfache. Wer hier genau ist, kann für sich beste Werbung machen.
Doch Meinungsumfragen „setzen“ sich nicht immer durch. So hatte man zur Volkskammerwahl 1990 einen SPD-Sieg vorhergesagt, wie man auch 2005 einen FDP-CDU-Sieg ankündigte.
Medienkampagnen, die Wahlergebnisse beeinflussten
Auch wenn es keine Kampagnen waren, die Berichterstattung hatte eine vergleichbare Wirkung: 1998 stand die Mehrheit der Medien gegen Helmut Kohl, 2005 gegen Gerhard Schröder.
Es zeigt sich, dass der Kampagnenjournalismus zunimmt. „Medien müssen kampagnenfähig sein. Wo Politiker ihre Versprechen nicht halten, wo Probleme wolkig wegdefiniert werden, lautet der journalistische Auftrag: Dranbleiben, nichts durchgehen lassen, jedes Versprechen wieder aufrufen, Versagen dingfest machen. Das ist nachhaltiger Journalismus. Solche Kampagnen sind lebensnotwendig für die Demokratie.“ So Ernst Elitz, Intendant des Deutschlandradio, 1994 bis 2009 und heute Kolumnist der BILD-Zeitung. Kai Diekmann, der Chefredakteur der BILD-Zeitung, nutzt diese als Kampagneninstrument. Auch Unternehmen, Parteien und Regierungen versuchen die Medien zu instrumentalisieren. Ihre PR-Agenturen bieten sendefertige Beiträge und Umfragen an, bezahlen andere dafür, dass sie Kommentare in ihrem Sinne abgeben.
Fazit: Lobbyisten versuchen, die Berichterstattung in den Medien sowie die Öffentlichkeit im Sinne ihrer Auftraggeber zu beeinflussen. Meinungsforschungsinstitute täuschen Genauigkeiten vor, die es nicht gibt. Medien können Stimmungen verstärken und damit Wahlen und Koalitionsbildungen beeinflussen. Die letzten Jahre haben es immer wieder gezeigt: das Wahlverhalten von Minderheiten, kleine Veränderungen können grundsätzliche Folgen haben. Ob das für den jeweiligen Einzelfall gilt, ist immer wieder neu zu bestimmen.