Der MDR wurde 20. Wann genau, darüber gehen die Auffassungen auseinander. Wann er „auf Sendung“ ging, das ist klar. Dies war am 1. Januar 1992. Doch der erste Mann des MDR erhielt seinen Vertrag schon am 1. Juli 1991. Dies war Udo Reiter. Keiner hätte damals gedacht, dass er über zwei Jahrzehnte der ERSTE des MDR bleiben würde. Schließlich glaubte man, so eine der Lehren der DDR, dass vor allem eine Amtszeitbegrenzung Machtmissbrauch und Korruption vorbeugen könne. Doch diese Amtszeitbegrenzung fand sich im MDR-Staatsvertrag, der im Frühjahr 1991 erarbeitet wurde, nicht wieder. Und so konnte Prof. Udo Reiter mehr als 20 Jahre den MDR führen.
Die Möglichkeit, 20 Jahre MDR-Geschichte in ihrem Auf und Ab Revue passieren zu lassen, hat der MDR nicht genutzt. Und dies, obwohl es nicht nur eine Geschichte voller Skandale war, es auch Erfolge (Berichterstattung von den Olympischen Winterspielen 2010) gab, man sich gegen Widerstände durchsetzte (Ansiedlung Kinderkanal). Der MDR war von Anbeginn modern (Quotenorientierung), wenn er auch nicht immer etablierten öffentlich-rechtlichen Vorstellungen (JUMP; Finanzspekulationen; Outsorcing) entsprach. So, wie man in diesen 20 Jahren – manchmal auch fern aller Konventionen – oftmals unkonventionell agierte, nutzte man das diesjährige Neujahrskonzert in Leipzig als offiziellen Anlass zur Geburtstagsfeier, spannte einen modernen Bogen und offenbarte die musikalische Vielfalt im MDR.
Allerdings wurde die Chance, 20 Jahre Mediengeschichte rückblickend zu beschreiben und einen Ausblick zu geben, vom Sender nicht genutzt. Liegt das auch daran, dass der MDR weder im Radio noch im Fernsehen eine Medienredaktion hat, dass also profunde medienpolitische Redakteure fehlen? Dabei sind so viele Fragen offen geblieben. Welche Spielräume, welche Grenzen hatte der neugegründete MDR? Wie agierte die Politik gegenüber dem MDR? Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit weiteren medienpolitischen Institutionen (Landesmedienanstalten, Mitteldeutsche Medienförderung) für den MDR? Welche Ansprüche hatten die MDR-Macher damals und welche haben sie heute? Welche Neugründungen haben sich in und um den MDR herum erfolgreich entwickelt? Warum wurden die Potentiale, die aus der DDR gerettet wurden, wie der Trickfilm in Dresden, vom MDR kaum genutzt bzw. ausgebaut? Und warum sind auch erfolgreiche Unternehmen, die viele Aufträge hatten, gescheitert? Warum musste LE Vision letztes Jahr in die Insolvenz gehen. Welche Ziele verkündeten die Medienpolitiker, also vor allem die Ministerpräsidenten, und welchen Interessen dienten sie? Hätte man nicht so einige der damals Agierenden für die Geschichtsschreibung gewinnen können? Zudem ist zu fragen, vor welchen Problemen die Medienunternehmen heute, im Zeitalter der sozialen Netzwerke, stehen, welche Perspektiven sie sehen und was sie vom MDR zu erwarten haben. Schließlich war und ist er der größte Player. Er verfügt über einen Etat von über 670 Mio. Euro. Aktuell, im Angesicht einiger Insolvenzen sowie die Auslagerung der Produktion in osteuropäische Länder, steht die Frage, wie sich die Medienlandschaft hier entwickeln, wie der MDR deren Wachstum noch befördern kann. Dies alles wären doch neue, der „Geschichte Mitteldeutschlands“ würdige Kapitel gewesen, oder?
Leider begnügte man sich im MDR-Fernsehen weitestgehend mit einem Dokumentarfilmprojekt („I love Mitteldeutschland – 20 junge Heimatfilme“), das im engen Rahmen blieb. 20 junge Leute sollten „ein innovatives Projekt auf die Beine stellen“. Die MDR-Dokumentarfilmredaktion bot den Studierenden verschiedener Universitäten und Hochschulen die Chance, „spannende Kurzfilme über unsere Heimat“ zu drehen und auszustrahlen. Es sollten „teils klassisch dokumentarisch, teils kreativ-experimentell die verschiedensten Lebensgeschichten erzählt“ werden, um „ein schillerndes Gesamtbild Mitteldeutschlands“ entstehen zu lassen, „das dem Hier und Jetzt zugewandt ist und das es uns ermöglicht, unsere Heimat durch die Augen junger Menschen zu betrachten.“ So die Projektleiterin Dr. Katja Wildermuth, die meinte, es gebe „schon viele Projekte, die die Umbruchszeit in der Region dokumentierten und zeigten, welche Bedeutung sie für die Menschen hatte.“
Was man machen kann, inhaltlich, finanziell wie auch von der Programmplanung her, offenbart ein Blick zum RBB. Als der RBB vor mehr als einem Jahr, am 1. Oktober 2010, die Dokumentation „20x Brandenburg“ zeigte, die 2011 auch mit dem Grimmepreis ausgezeichnet wurde, liefen die 20 fünfzehnminütigen Filme ab 20.15 Uhr hintereinander weg – also zur besten Sendezeit. Der MDR versendete sein „schillerndes Gesamtbild Mitteldeutschlands“ von 113 Minuten am zweiten Adventssonntag ab 23.40 Uhr (!).
Dieses Projekt stand noch für den „alten“ MDR. Der alte MDR hat kaum Mittel – 50.000 Euro im Jahr – für Kurzfilme. Diese holte man sich bisher zumeist preiswert von den Hochschulen. Der Jahresetat für Dokumentarfilme beträgt seit Jahren nur die Hälfte der Kosten eines Tatortes. Eine eigene Handschrift kann man so nicht entwickeln. Die Animationsfilmfirmen der Region kämpfen um ihr Überleben. Animationsfilme für Erwachsene stehen nicht auf der Agenda. Im Kinderfilmbereich gibt es Probleme, zumal der Kika-Etat gekürzt wurde und Firmen aus dem MDR-Gebiet einen schweren Stand haben, Aufträge für Großprojekte zu bekommen. Oftmals heißt es dann, dass die Firmen nicht die unternehmerische Größe für solche Projekte hätten. Allerdings hat von Seiten des MDR wie des Kika auch keiner das Wachstum dieser Unternehmen durch regelmäßige und berechenbare Auftragsvergabe befördert. Die unabhängigen Filmproduzenten haben vom MDR nicht groß profitiert. Selbst einige MDR-Töchter haben mittlerweile Probleme. Signifikante Wachstumseffekte für die Medienwirtschaft kann man nur nachweisen, wenn man immer mehr Berufe der Medienwirtschaft zuordnet. Dann kann man ein Wachstum der Arbeitsplätze wie auch des Umsatzes der Branche darstellen.
Wird der neue MDR anders sein? Erste Anzeichen gibt es. Spitzenpersonalia werden mit ZDF-Leuten besetzt, ganz nach der Devise: Überholen ohne einzuholen? Will man von der Dritten in die Erste Liga der Medienunternehmen springen? Wird man so gar zum DRITTEN unter den Programmen? Und dies nicht unter dem Blickwinkel der Quote sondern journalistisch und filmästhetisch gesehen? Der MDR hat das Potential. Er muss es nur nutzen und sich als Teil der hiesigen Medienbranche verstehen, diese in Abstimmung mit anderen fördern und entwickeln.
So kann er in Zukunft stärker der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung und somit der Demokratie dienen. Dafür bekommt er laut Bundesverfassungsgericht die Rundfunkgebühr, die ab 1. Januar 2013 alle zahlen müssen. Und so muss der MDR mit seinen Programmen auch möglichst allen etwas bieten. Dann zählen nicht nur Marktateile und Quoten, sondern vor allem gesellschaftliche Reichweite. Schritte, diese gesellschaftliche Reichweite zu erweitern, ist der MDR in seinem 20 Jahr gegangen.
(Mein Artikel im aktuellen Auslöser des Filmverbandes Sachsen)