Medienanstalten legen schon jetzt Fehler des Medienstaatsvertrags offen

Seit Jahren, faktisch seit 2013, arbeiten Politikerinnen und Politiker an der Novellierung des deutschen Medienrechts. Aus dem Rundfunkstaatsvertrag soll ein Medienstaatsvertrag werden. Zwei Beteiligungsverfahren für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Verbände gab es. Nach unzähligen Gesprächen einigten sich die Bundesländer. Der Medienstaatsvertrag soll den Rundfunkstaatsvertrag ersetzen und ins digitale Zeitalter führen.

Mittlerweile haben die Ministerpräsidenten einen Staatsvertragsentwurf unterzeichnet. Derzeit beraten die Landtage darüber. Wenn alle Parlamente zustimmen, wird der Medienstaatsvertrag zum 1. Januar 2021 in Kraft treten.

Doch schon jetzt wird deutlich, dass ein wesentliches Problem nicht gelöst wurde: Was ist Rundfunk? Von der Definition, vom Rundfunkbegriff hängt ab, wie man reguliert wird. Nach dem noch geltenden Rundfunkstaatsvertrag ist Rundfunk „ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen. Der Begriff schließt Angebote ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind“ (§ 2 Abs. 1 Rundfunkstaatsvertrag). Ein Rundfunkprogramm ist „eine nach einem Sendeplan zeitlich geordnete Folge von Inhalten“ (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Rundfunkstaatsvertrag).

Kein Rundfunk sind Angebote, die „weniger als 500 potenziellen Nutzern zum zeitgleichen Empfang angeboten werden“ (§ 2 Abs. 3 Rundfunkstaatsvertrag). Rundfunkprogramme bedürfen der Zulassung durch die Landesmedienanstalten.

Daran hat sich im Medienstaatsvertrag nur nicht viel geändert. Rundfunk ist weiterhin „ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst“. Ein Rundfunkprogramm ist weiterhin „eine nach einem Sendeplan zeitlich geordnete Folge von Inhalten“. Zulassungsfrei sind Rundfunkprogramme in Zukunft, wenn sie „nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten“ und/oder „im Durchschnitt von sechs Monaten weniger als 20.000 gleichzeitige Nutzer erreichen oder in ihrer prognostizierten Entwicklung erreichen werden.“ (§ 54 Abs. 1 Medienstaatsvertrag)

Schon wenige Tage nach den ersten Corona-Maßnahmen handelten die Landesmedienanstalten. „Pragmatisches Vorgehen bei Live-Streamings“, nannten sie diese und ermöglichten zum 20.03.2020 ein „vereinfachtes Anzeigeverfahren zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Teilhabe während der Zeit der Corona-Krise …. Angesichts der Absage aller kulturellen und kirchlichen Ereignisse sowie der Schließung von Bildungseinrichtungen in Folge der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus nimmt das Live-Streaming von Ereignissen sowie von Bildungsangeboten an Bedeutung zu. Gewisse Live-Streams können dabei unter den Rundfunkbegriff fallen und benötigen nach geltendem Recht grundsätzlich eine Zulassung.“

Zuerst galt dies für einen Monat bis zum 19.04.2020. Am 21.04.2020 erklärten die Landesmedienanstalten, dass ihr „pragmatischer Umgang mit Livestreamings“ bis zum 31.08.2020 fortgeführt wird. „Mit der Verlängerung orientieren sich die Landesmedienanstalten weiterhin an den Corona-Maßnahmen der Landesregierungen. Dieses Vorgehen ersetzt nicht grundsätzlich das gesetzliche Erlaubnisverfahren, sondern stellt weiterhin eine vorläufige Maßnahme dar. Bei der geplanten Übertragung von Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen, die einen längeren zeitlichen Vorlauf haben, kann auch eine Zulassung im Sinne des medienrechtlichen Regelverfahrens zu beantragen sein. Dies gilt insbesondere auch für Angebote, die auf Dauer angelegt sind und über den 31. August hinaus angeboten werden sollen.“

Doch muss ein Gesetz nicht auch in einer Krise gelten? Muss es sich nicht gerade dann beweisen? Die Praxis der Landesmedienanstalten verdeutlicht: der Rundfunkbegriff ist veraltet. Die Vorgabe, dass ein Rundfunkangebot dann lizensiert werden muss, wenn es 500 (derzeit) oder 20.000 gleichzeitige Nutzerinnen und Nutzer im Durchschnitt der letzten sechs Monate hat, ist vollkommen willkürlich gesetzt. Zumal dabei auch nicht berücksichtigt wird, welche Qualität diese Kontakte haben. Gibt es nicht einen Unterschied, zwischen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie „einfachen“ Nutzerinnen und Nutzern? Muss die „Qualität“ der Kontakte nicht berücksichtigt werden, wenn es Frage geht, welchen Beitrag zur Meinungs- und Willensbildung das Angebot leistet?

Sieben Jahre wurde diskutiert und verhandelt. Wenige Krisentage genügen, um deutlich zu machen, dass der neue Medienstaatsvertrag – trotz seines klangvollen Namens  – immer noch nicht auf der Höhe der Zeit ist.

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