ARD, ZDF und Dradio im Netz: Mehr Freiheit zu weniger Text

Lösung für Streit zwischen Verlegern und Sendern: Im Kern ging es um die Frage, in welchem Umfang ARD und ZDF im Internet Texte veröffentlichen dürfen. Offen ist die Frage, wie der Rundfunkbeitrag künftig festgelegt werden soll. (Hamburger Abendblatt)

ARD und ZDF im Netz: Mehr Freiheit, weniger Text (dwdl.de)

Presse zufrieden, Filmemacher fassungslos (faz.net)

ARD und ZDF sollen Online-Schwerpunkt in Bewegtbild und Ton haben (heise.de)

Was darf auf den Internetseiten von ARD und ZDF veröffentlicht werden? Vor allem Bewegtbild und Ton, heißt es in einer Entscheidung zum neuen Rundfunkstaatsvertrag. (zeit.de)

Darüber hinaus regelt der Staatsvertragsentwurf, dass im Netz „eigenständige audiovisuelle Angebote“ möglich sind, die nicht an die lineare Ausstrahlung im Fernsehen gebunden sind. Erstmals ausdrücklich beauftragt wird zudem die interaktive Kommunikation und Social-Media-Nutzung der Anstalten. Auch die barrierefreie Gestaltung der Online-Angebote soll sich verbessern. (dwdl.de)

Die öffentlich-rechtlichen Angebote im Internet sollen sich somit deutlich von denen der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage unterscheiden. Die Verleger hatten immer wieder kritisiert, das Textangebot der beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender in ihren Apps und auf ihren Webseiten sei zu umfangreich und wettbewerbsverzerrend. In Zweifelsfällen soll künftig eine gemeinsame Schlichtungsstelle der Rundfunkanstalten und Verlage entscheiden, hieß es weiter.

Außerdem beschlossen die Ministerpräsidenten, die Sieben-Tage-Regel bei den Mediatheken aufzugeben. Sendungen der Öffentlich-Rechtlichen können damit länger als bisher abgerufen werden. Damit soll einem veränderten Fernsehverhalten Rechnung getragen werden. (Hamburger Abendblatt)

Nicht betroffen von der Text-Sanktion sind Ausnahmen wie Sendungstranskripte im Radio. Auch Seiten, „die der Aufbereitung von Inhalten aus einer konkreten Sendung einschließlich Hintergrundinformation dienen, soweit auf für die jeweilige Sendung genutzte Materialien und Quellen zurückgegriffen wird“, sind zulässig. Vielleicht ist das also das Ende des „Bruder- oder Schwesterkampfs“, wie es Raue nennt. Angesichts der Konkurrenz durch Facebook und Google fanden mehr und mehr Kritiker, dieser Kampf sei kontraproduktiv für den Qualitätsjournalismus. (sueddeutsche.de)

Mit der paritätischen Schlichtungsstelle, die nach Medienberichten einen Vorsitzenden haben soll, der in Pattsituationen entscheidet, geht es auch um neue Machtfragen. Mit ihr sichern sich die Interessenvertreter der Privaten Einfluss auf das öffentlich-rechtliche System, was seitens bundesoppositioneller Politiker bereits kritisiert wird. “Dass heute Springer-Chef Döpfner bei der Vorstellung des Telemedienauftrags mit am Tisch saß, ist bezeichnend für das Einknicken der Ministerpräsidenten in dieser Frage”, kommentierte Tabea Rößner, Sprecherin für Netzpolitik in der Grünen-Fraktion, die vorgestellten Pläne. (meedia.de)

„Es war mir ein großes Anliegen, einen Weg zu finden, der den öffentlich-rechtlichen Sendern eine Weiterentwicklung in ihrem digitalen Angebot garantiert und die Interessen der anderen Marktteilnehmer – etwa der Verlage – berücksichtigt“, sagte Dreyer weiter. (zeit.de)

„Es gibt heute nur Gewinner“, befand er. ARD-Intendant Ulrich Wilhelm räumte ein, dass „alle Beteiligten Zugeständnisse eingehen mussten“. (tagesspiegel.de)

Der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, Mathias Döpfner, erklärte, der gefundene Kompromiss sorge „für Klarheit, wo der Schwerpunkt öffentlich-rechtlicher Onlineangebote liegen wird – im audiovisuellen Bereich“. (fr-online.de)

Die Verleger hatten zuvor lange auf einer exakten Festlegung für Textlängen in den Online-Angeboten von ARD und ZDF beharrt. „Wir sind bereit, auf eine konkrete Quantifizierung zu verzichten, weil wir andere Verbindlichkeiten dafür erhalten“, sagte der BDZV-Präsident Mathias Döpfner, der erstmals mit Ministerpräsidenten und Intendanten auf dem Podium der gemeinsamen Pressekonferenz saß. „Wenn es eine klare Unterscheidbarkeit der Angebote gibt, muss keiner Worte zählen.“ (dwdl.de)

Matthias Döpfner, Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), zeigte sich erfreut, dass es eine „journalistische und keine juristische“ Einigung im Dauerstreit der beiden Seiten gegeben habe. Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm sagte, dass es mit der Regelung „zum Teil Verbesserungen, Vereinfachungen und Rechtsklarheit“ gebe, die allen zugute komme. (Hamburger Abendblatt)

Haseloff ist überzeugt, die jetzige Einigung sei „ein historischer Moment in der Geschichte der BRD“. In jedem Fall ist sie ein Sonderfall, weil es einem Lobbyverband privater Unternehmen gelungen ist, mit Verweis auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen wesentlichen Einfluss darauf zu nehmen, wie die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Auftrag gegenüber der Allgemeinheit im Netz erfüllen können.

Dass nicht auch Vertreter der privaten Rundfunkanbieter an den Reformverhandlungen beteiligt gewesen seien, begründete Haseloff damit, dass diese „nicht das Problem der Presseähnlichkeit“ hätten und sich die Bedeutung der Frage nach Demokratie und Informationsfreiheit nicht im selben Maße stelle wie bei den Verlegern. (dwdl.de)

Ganz eitel Sonnenschein herrscht aber doch nicht: Ungeachtet des neuen Telemedien-Staatsvertrags will der Norddeutsche Rundfunk (NDR) ein Urteil zu seiner Tagesschau-App überprüfen lassen. Der NDR halte aus grundsätzlichen Erwägungen an einer Verfassungsbeschwerde fest, sagte ein Sprecher am Donnerstag in Hamburg. Das Bundesverfassungsgericht habe aber noch nicht darüber befunden, ob es die Beschwerde zur Entscheidung annehme. (heise.de)

„Wir sind fassungslos, dass die Politik die Bedenken der audiovisuellen Kultur- und Kreativwirtschaft komplett ignoriert und bis auf das Verbot der Presseähnlichkeit ausschließlich Interessen der Sendeanstalten bedient hat“, sagte Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft. … „Die meisten dokumentarischen Sendungen im deutschen Fernsehen werden von den Sendern nur zum Teil bezahlt. Der Beschluss verbaut uns die Möglichkeit, das Geld, das wir selbst in die Projekte stecken, jemals zurück zu bekommen“, so Thomas Frickel, Vorsitzender der AG Dokumentarfilm. Kritik äußerte auch Stephan Wagner, Vorstandsmitglied beim Bundesverband Regie: „Wenn es weiterhin kreative Inhalte geben soll, kann sich ab sofort kein Urheber mehr auf Vereinbarungen einlassen, die das unbegrenzte Verweilen seiner Werke in den Mediatheken nicht angemessen vergüten“, sagte Wagner. (dwdl.de)

Juliane Wiedemeier: “Mit ihrem Vorgehen gefährden die (nennen wir sie trotz allem einfach mal) Verleger die Demokratie, als deren Beschützter sie sich so gerne aufspielen.  … Erst wenn der letzte Text bei tagesschau.de verschwunden, Google News vom Netz gegangen und der Fortbestand von bild.de im Grundgesetz verankert ist, werdet ihr merken, dass euer aktuelles Geschäftsmodell echt scheiße ist.” (Altpapier beim MDR)

 

 Was bedeutet das?

Auch wenn im Rundfunkstaatsvertrag noch die 7-Tage-Regel enthalten war, hatte sie doch faktisch keine Wirkung mehr, da die Sender über ihre Telemedienkonzepte die Verweildauern für ihre Angebote – zumeist über die 7 Tage weit hinaus – festgeschrieben hatten. Wenn jetzt Nachrichten und anderes nach sieben Tagen verschwinden,dann liegt das vor allem an den Fristen, die die Sender sich in den Telemedienkonzepten selbst gegeben haben.

Die Verleger bekommen gesetzliche Änderungen in ihrem Sinne, die Inhaltelieferanten der öffentlich-rechtlichen Sender, die Produzentinnen und Produzenten, eine Protokollnotiz. („Per Protokollnotiz haben die Länder zumindest vermerkt, dass die Vertragsbedingungen für die Produzenten in der Internetwelt fair sein müssen.” Die erste diesbezügliche Protokollnotiz gab es übrigens schon Ende 2008. Offensichtlich hat sich seitdem nicht viel verbessert.) Die Interessen der Verleger werden gesetzlich abgesichert, die Produzentinnen und Produzenten dürfen weiter an die Sender für eine faire und angemessene Vergütung der Onlinerechte appellieren.

Damit hat die Verlegerlobby, insbesondere Springer- und BDZV-Chef Matthias Döpfner geschafft, die Spielräume der Sender im „neuen Medium Internet” einzuengen, bestimmte Formen des Journalismus zu verbieten, etwas, was dem früheren VPRT im Fernsehbereich so nicht gelang. Allerdings verdienen viele der privaten Fernsehanbieter gutes Geld, obwohl sie einen beitragsfinanzierten Konkurrenten hatten und haben. Bei RTL und ProSiebenSat1 sind die Renditen und Gewinne in den letzten Jahren sogar weiter gestiegen – und dies obwohl ARD und ZDF weiter in großem Umfang Unterhaltung, Sport und Krimis bieten. Andererseits bieten die kommerziellen Sender auch kaum Flächen, in denen Landespolitiker auftreten. Da haben die Verleger mit ihren (Landes-)Zeitungen wie Magdeburger Volksstimme oder Allgemeine Zeitung mehr zu bieten.

Welchen Grund gibt es also für die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten für eine Interessengruppe solche Ausnahmetatbestände zu schaffen? Geht es um das Überleben des Journalismus? Zumindest für den Springer-Konzern kann das so nicht gekten, lag doch die Rendite des Konzerns 2016 und 2017 bei über 18 Prozent. Das Ebitda stieg gar von 595 Mio. Euro auf 645 Mio. Euro. Oder ist es der Respekt vor deren verlegerischer Macht, also vor BILD und Springer sowie den Landeszeitungen vor Ort, die einige der wenigen Flächen bieten, in denen Landespolitikerinnen und -politiker noch vorkommen? Oder offenbart die weitestgehend wortgetreue Übernahme eines Vorschlags von BDZV und Sendern einen fehlenden medienpolitischen Gestaltungsanspruch? Ist es nicht gar eine medienpolitische Bankrotterklärung, wenn man nicht mehr in der Lage ist, eigene Vorschläge zu entwickeln?

Eine „journalistische Einigung” hätte bedeutet, dass man die Vielfalt an journalistischen Onlineangeboten und deren Breite nicht einschränkt. Es ist nicht onlinespezifisch, sich hier auf Bild und Ton zu begrenzen, zumal man über Text wesentlich schneller Inhalte aufnehmen kann als über Bild und Ton.

Anstatt festzuschreiben, dass die Sender längere Verweildauern im Netz auch den Produzenten entsprechend vergüten müssen, regeln sie vor allem, wie sich Sender und Verleger in Konfliktfällen einigen sollen. Damit wird die Unabhängigkeit der Gremien untergraben. Sollen diese sich dann einem Schiedsspruch unterwerfen, selbst wenn dieser einem beschlossenen Telemedienkonzept widerspricht? Müssen gar alle Telemedienkonzepte überarbeitet werden? In den letzten Jahren wurden Dutzende Dreistufentests durchgeführt, die von der Politik festgeschriebenen gutachterlichen Stellungnahmen haben weit über 10 Mio. Euro gekostet. Egal, wie weit man die Sender im Telemedienbereich wieder beschränkt, es wird die Verleger nicht retten.

Offensichtlich sollen ARD, ZDF und Deutschlandradio im Internet vom Textumfang her so wenig wie möglich bereitstellen. Allerdings ist dies bisher kein großer Markt. Bisher nutzen die Menschen im Schnitt „medialen Text im Internet” nur sieben Minuten am Tag. Der Vorteil der Online-Berichterstattung liege auch in der „vertiefenden Vernetzung“ der Inhalte, hatte Volker Lilienthal vor Jahren in einem Gutachten zum Dreistufentest ausgeführt. Genau diese „vertiefende Vernetzung“ ist bei diesen Begrenzungen nicht mehr möglich. Ein relevanter medientypischer Mehrwert kann dann nicht geboten werden. So, wie heute Nutzerinnen und Nutzer kritisieren, dass ausgestrahlte Inhalte im Netz nicht zu finden sind, wird in Zukunft die oberflächliche, nicht netzadäquate Präsentation kritisiert werden. So werden ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht gestärkt, so wird ihre Legitimation weiter untergraben.

 

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Gut zur Entgiftung des öffentlichen Diskurses wäre es, auch in den Beiträgen jener, die anders denken als man selbst, die klügsten Gedanken zu suchen, nicht die dümmsten. Man läuft natürlich dann Gefahr, am Ende nicht mehr uneingeschränkt Recht, sondern einen Denkprozess in Gang gesetzt zu haben.   Klaus Raab, MDR-Altpapier, 25.05.2020, (online)    
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